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248 - Entfesselte Gewalten

248 - Entfesselte Gewalten

Titel: 248 - Entfesselte Gewalten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Zybell
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schlüpfte sie in die Krone des benachbarten Urwaldriesen. Vergeblich hatten die Pilztentakel versucht, sie zu erwischen. Rulfan hoffte, sie würde lebend aus dem Geäst hinunter ins Unterholz gelangen.
    Der Durst wurde unerträglich. In der Nacht auf den dritten Tag setzten dann das Fieber und die Gleichgültigkeit ein. Die Sonne stand hoch über dem Wald. Der Albino glaubte nicht, dass er ihren Untergang noch bei Bewusstsein erleben würde. Es war ihm gleichgültig.
    Die Stunden krochen dahin. Rulfan war es, als würden mit den letzten Tropfen Flüssigkeit in seiner ausgeatmeten Luft auch nach und nach die letzten Regungen seines Bewusstseins verdunsten. So dämmerte er allmählich in einen Zustand hinüber, der zuerst einem Fiebertraum und später einer tiefen Trance glich. Es war vorbei.
    Doch dann, am frühen Abend, geschah es. Stimmen unter dem Baum rissen ihn aus seinem Delirium. Er wollte gar nicht zu sich kommen, denn jede Bewegung war eine Qual, jeder Gedanke lästig. Doch die Stimmen unter dem Mammutbaum wurden lauter und vereinigten sich rasch zu einem schrillen Palaver. Rulfan zwang sich, die Lider zu öffnen.
    Drei Meter über ihm und Lay bewegte sich Zarrs massiger Körper im Geäst. Auch der Gorillamutant war extrem geschwächt. Doch von zäherer Konstitution als das Menschenpaar, verfügte er noch über letzte Kraftreserven. Rulfan vermutete, dass er als Letzter sterben würde. Er beneidete ihn nicht.
    Zarr bewegte sich also, griff mit einer unendlich langsamen Bewegung über sich ins Geäst und zog sich nach oben. Schwankend verharrte er und blinzelte zu den Lücken des Laubdaches hinauf. Auf einer Breite von etwa zweihundert Metern hatte der Pilzorganismus den gewaltigen Wipfel noch freigelassen, sodass die Gefährten in den Lücken der Krone den Himmel sehen konnten. Der verdunkelte sich nun, und zwar schlagartig.
    So übergangslos, dass Rulfan an seiner Wahrnehmung zweifelte. Wie sollte die Sonne derart schnell untergegangen sein? Ausgeschlossen. Ein Fiebertraum, weiter nichts.
    Er wollte die Augen schon wieder schließen und sich seinem Delirium überlassen, da begann es plötzlich zu rascheln und zu splittern. Zweige prasselten auf Rulfan und Lay herab, Laub fiel ihnen auf die Gesichter und ausgetrockneten Körper. Die gesamte Baumkrone schwankte, als würde eine Orkanböe sie schütteln. Unter dem Mammutbaum schrien die Waldwilden wie in Panik, und Rulfan riss die Augen auf.
    Es war plötzlich deutlich dunkler. Ein großer Körper lag wie eine Decke zwanzig Meter über ihm in der Baumkrone. Rulfan glaubte eine Art Schwanz zu erkennen. Er blinzelte hinauf, weil eine schmale Silhouette am Rande des deckenartigen Körpers erschienen war. Und dann eine zweite!
    »Hilfe…« Zarrs krächzende Stimme klang dumpf und polternd, als hätte man einen Felsbrocken in eine Höhle geworfen. »Götter schicken Hilfe…« Erschöpft hob der Zilverbak den rechten Arm und winkte den beiden Gestalten dort oben zu.
    Hilfe also. Rulfan schloss die Augen und überließ sich wieder seinem Dämmerzustand. Er war viel zu ausgezehrt, um so etwas wie Hoffnung zu empfinden, oder gar Freude. Im Grunde wollte er nur noch sterben.
    Später kam er wieder zu sich, weil jemand ihn berührte. Er öffnete die Augen und blinzelte in das Gesicht eines Mannes mit langem schwarzen Haar. Seine gebrochene Rippe schmerzte, als der Mann ihn packte und an einer Liane festband. Der Schmerz erfüllte seinen ausgetrockneten Körper, doch Rulfan hatte keine Kraft mehr, sich zu wehren. Er wurde nach oben gezogen.
    Als sein Bewusstsein wieder Sinneseindrücke verarbeiten konnte, war es deutlich heller geworden. Er lag nun oberhalb des großen Körpers auf dessen Oberfläche, die sich wie die Haut von Haien anfühlte. Plötzlich glaubte er zu wissen, was das für ein Körper war, doch der Name des Wesens fiel ihm nicht ein.
    Er drehte den Kopf und sah eine Gestalt, die ihm bekannt vorkam, die er aber ebenfalls nicht benennen konnte. Sie kniete zwischen Lay und Zarr und hatte einen schuppigen Rücken. Der Anblick machte Rulfan Angst. Die Angst weckte seine Lebensgeister.
    Er drehte den Kopf zur anderen Seite und sah den Mann, der ihn an der Liane befestigt hatte, über den Rand des großen schwarzen Körpers klettern. Sein Gesicht weckte eine undeutliche und irgendwie falsche Erinnerung.
    Der Mann richtete sich auf. Er trug dunkle Kleidung – ein weites Hemd, eine weite Hose, Stiefel – und ein blaues Tuch. Zwei braune Ledergurte kreuzten sich

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