Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
25 - Ardistan und Dschinnistan II

25 - Ardistan und Dschinnistan II

Titel: 25 - Ardistan und Dschinnistan II Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
Vom Netzwerk:
einstweilen in einem Nebengemach zu warten hatte.
    Der Verschwörer wurde von zwei riesigen Ussul hereingebracht, die sich aber nicht entfernten, sondern ihm zur Rechten und zur Linken stehenblieben. Er kam hocherhobenen Hauptes und mit einer Miene, der man es sofort ansah, daß er stolz aufbegehren und Rechenschaft fordern wolle. Das währte aber nur einen Augenblick, denn sobald er uns sah, stutzte er erst wie über etwas ganz Unglaubliches und sank dann in sich selbst zusammen, als ob er plötzlich ein ganz anderer geworden sei. Sein Schreck mußte ein außerordentlich großer sein, denn er sah wie mit einem Schlag aus, als ob er in dieser halben Minute um Jahrzehnte älter geworden sei und gar kein Rückgrat, keine Körperstütze mehr habe. Seine Augen erschienen tiefer liegend und seine Wangen eingefallen. Er griff, nach einem Halt suchend, mit den Händen um sich und bog das Knie, um sich im Gefühl der ihn überkommenden Schwäche auf den Boden niederzusetzen, wurde aber von den beiden schnell zugreifenden Wächtern gezwungen, stehenzubleiben. Ich habe ihn als fanatisch und bigott, im Grunde aber auch wohlwollend und gerecht geschildert. Diese beiden letzteren Eigenschaften waren es ja gewesen, die mich bestimmten, auf den Mir derart zu wirken, daß er ihn entkommen ließ. Übrigens mußte ihm als einem gerechtsinnigen Mann seine gegenwärtige Lage doppelt peinlich erscheinen.
    Und nun muß ich zur Ehre meines kleinen Halef berichten, daß seine Vorsätze, diesen Mann möglichst rücksichtslos zu quälen, ebenso schnell in ihm zusammenbrachen, wie er ihn selbst zusammenbrechen sah. Er schüttelte den Kopf und rief aus:
    „Allah beschütze mich vor dem Unglück, einmal eine solche Jammergestalt zu bilden wie dieser oberste aller Schacher und Sünder in Ardistan! Ich wollte ihn demütigen; er tut es aber selbst! Ich wollte mich an seinen Qualen weiden, wen aber kann der Anblick solcher Kraftlosigkeit ergötzen! Ich wollte ihn mit Beweisen niederschmettern; er zittert aber schon ohne Beweis an allen Gliedern! Darum bitte ich um die Erlaubnis, es mit ihm möglichst kurz machen zu dürfen. Es ist weder für euch noch für mich ein Ruhm, mit allen unsern vereinten Kräften einen Menschen niederschlagen zu wollen, der vor lauter Angst von selbst zusammenbricht! Ich denke, es genügt ein kleiner Stoß, so fällt er vollends um, und diesen Stoß will ich ihm hiermit geben.“
    Er nahm den Brief des ‚Panthers‘, der vor dem Mir auf dem Tische lag, reichte ihn dem Basch Islami zu und sagte:
    „Komm her und lies!“
    Der oberste der Muselmänner kam langsamen Schrittes heran, nahm das Schreiben, öffnete es und begann zu lesen. Seine Augen wurden größer und größer; das Blut wich aus seinem Gesicht; er trat einen Schritt zurück und wankte, wankte sichtlich vor unsern Augen, als ob er umfallen wolle. Aber er wankte nicht allein, sondern wir wankten auch; wir wankten mit. Der Boden bewegte sich unter unseren Füßen. Ein zitterndes Rollen ging durch das Schloß, ging durch unsere Körper. Wir fühlten es bis an die Spitzen unserer Finger. Ein sonderbarer, leiser, aber äußerst beängstigender Ton, der wie ein ferner, fauchender Windstoß klang, fuhr durch alle Mauern.
    „Ein Erdbeben!“ rief der Mir, indem er von seinem Sitz aufsprang.
    „Ein Erdbeben! Allah beschütze uns!“ stimmte Halef bei und griff nach meinem Arm.
    Grad in diesem Augenblick wurde von draußen der Türvorhang zurückgeschlagen, und wir sahen den Schech el Beled von El Hadd, der, in der geöffneten Tür stehenbleibend, wie ein Bild von Meisterhand in klar hervorhebendem Rahmen erschien. Sein Gesicht war verhüllt; auch sprach und grüßte er nicht; aber er gab uns allen, die wir ihn sahen, mit der Hand ein Zeichen, so zu tun, als ob er nicht vorhanden sei. Nur einer sah ihn nicht, nämlich der Basch Islami, der mit dem Rücken nach der Tür stand. Er hatte die Hände halb erhoben, wie einer, der auf das tiefste erschrocken ist, und rief grad in dem Augenblick, an dem der Schech el Beled uns winkte:
    „Einer!“
    Was er mit diesem Wort sagen wollte, wußten wir nicht. Er stand mit erhobenen Händen und seitwärts geneigtem Kopf, als ob er lauschte. Auf was? Wir horchten unwillkürlich mit. Da war es plötzlich, als ob wir auf Wasser ständen, welches sich leise fließend von der einen Seite nach der andern bewegte. Wir faßten uns an, um uns einander zu halten. Dann war es, als ob wir uns auf einem nicht federnden Leiterwagen befänden,

Weitere Kostenlose Bücher