25 - Ardistan und Dschinnistan II
der, von galoppierenden Pferden gezogen, über schlechte, ungepflegte Wege rattert, aber nur für einen Augenblick. Hätte es länger gedauert, so wären wir verloren gewesen; es wäre alles eingestürzt.
„Zwei!“ rief der Basch Islami mit dem Ausdruck des Entsetzens.
Er sank auf die Knie nieder, behielt aber seine lauschende Haltung bei. Es kam ein spitziges Zischen und Knirschen von weitem her und ging unter uns hin und vorüber, worauf wir das Gefühl hatten, als ob die Erde einen tiefen, tiefen Atemzug der Erleichterung und Befreiung tue, der aber uns alle fast zu Boden warf. Nur der Schech el Beled stand fest und unbewegt, als ob ein Zittern und Beben der Erde ihm etwas ganz Gewöhnliches sei.
„Drei Stöße!“ rief der Basch Islami, indem er wieder aufsprang. „Nun ist die Gefahr vorüber, die kleine, die kleine! Aber noch nicht die große, die große, die noch niemand sieht, die nur von denen vorausgesehen wird, die es wissen! Seit drei Monden sprühen die Vulkane von Dschinnistan; seit drei Monden schmelzen die Firnen und Gletscher zu Tal, und nach diesen drei Monden geht ein dreimaliges Beben durch die Erde, um die Menschen vorzubereiten auf das, was kommen soll! Das ist die Sage, die Sage! Vom zurückgekehrten Fluß! Von dem je nach hundert Jahren sich öffnenden Paradies! Von der Frage des Erzengels, ob endlich Friede sei! Von dem Erscheinen der Engel unter den Menschen! Von der Wiederkehr des Flusses! Und von der abermaligen Ankunft Gottes in Ardistan und Ard!“
Seine Wangen hatten sich gerötet, und seine Augen funkelten. War das ein irrer oder war es ein begeisterter Blick, mit dem er uns jetzt betrachtete, einen nach dem andern?
„Ihr wißt nicht, was ich weiß“, fuhr er fort. „Ihr, die ich für vernichtet hielt, seid gerettet, seid hier versammelt, um über mich zu richten. Ich bin in eurer Hand, aber nicht etwa durch eure Macht, sondern durch eine höhere, der ich zu gehorchen habe. Ich bin bereit, mich ihr zu fügen und für das, was ich tat, zu sterben; aber ich bitte euch, mir Auskunft zu geben über das, was ich euch frage. Ihr wart in der ‚Stadt der Toten‘. Ist der Fluß noch trocken dort?“
„Nein“, antwortete der Mir. „Er hat Wasser bekommen, viel Wasser. Er fließt bereits!“
„Da ihr aus dem Kanal entkommen seid, müßt ihr die Türen kennen. Wart ihr vielleicht am Maha-Lama-See?“
„Ja.“
„Wohl gar auch in der ‚Dschema der Toten und der Lebenden‘?“
„Ja.“
Der Oberste der Moslemin schwieg eine Weile. Er schaute wie verzweifelt zur Erde und bewegte seine Hände, als ob ein innerer Drang ihn zwingen wolle, sie zu ringen. Dann wandte er sich an Abd el Fadl, der jetzt den blauen Anzug seiner Lanzenreiter trug. Er war ebenso wie Merhameh gleich am Morgen unsers Fortzugs aus der ‚Stadt der Toten‘ in dieser Kleidung erschienen, welche die Augen des Basch Islami ganz besonders auf sich zu ziehen schien. Dieser fragte ihn:
„Du bist Abd el Fadl, der mit seiner Tochter Merhameh im Weihnachtsgottesdienst der Christen die Stimme der ‚Güte‘ und der ‚Barmherzigkeit‘ erhoben hat?“
„Ja“, antwortete der Gefragte.
„Und bist du etwa der Fürst von Halihm?“
„Der bin ich.“
„Allah, Allah! Welch ein Verhängnis! Wer hätte das geahnt! Ihr habt gesehen, daß ich erschrak, als ich hier diesen Raum betrat. Ich erschrak über euch, die ich für tot hielt. Noch mehr aber erschrak ich über den Anzug von Halihm, den ich erblickte, weil er mich sofort das ganze Schicksal ahnen ließ, dem wir, die ‚mit dem Schwerte Widerstrebenden‘, wie unser Islam sagte, verfallen sind. Ich bitte dich, mir zu sagen: Sind etwa deine Lanzenreiter hier?“
„Sie sind hier. Der Mir von Ardistan ist mit ihnen eingezogen, beim Klang der Glocken, vom Jubel seines Volkes begrüßt.“
„Maschallah! Sind etwa auch die Ussul und die Tschoban schon gerettet? – Das ganze Heer des Dschirbani?“
„Ja.“
„So wehe uns! Dann brauchen nur noch die Lanzenreiter von El Hadd und Dschinnistan zu erscheinen, so –“
Er wurde unterbrochen:
„Sie sind da!“ klang es von der Tür her.
Er drehte sich um. Er sah den Schech. Die Wirkung war eine außerordentliche. Einen lauten, fast überlauten Schrei ausstoßend, retirierte er nach der Wand, lehnte sich dort an und rief:
„Das ist der ‚Schwur von Dschinnistan‘, der ‚Schwur von Dschinnistan‘, dem niemand widersteht! Wer bist du, der du dich verhüllst? Bist du der Schech el Beled von El Hadd? Bist
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