25 - Ardistan und Dschinnistan II
brennt der Weihnachtsbaum; dein Heiland ist geboren!“ dann hatten wir erreicht, was wir erreichen wollten. In dieser Beziehung geschah etwas, was sehr geeignet war, unserer Arbeit eine schönere Weihe und tiefere Heiligung zu erteilen. Ich erzähle es.
Hier muß ich erwähnen, daß wir nicht mehr als Gefangene betrachtet wurden. Wir waren frei. Wir konnten gehen und kommen, ganz wie es uns beliebte. Jedermann durfte uns besuchen; unser Weihnachtsbüro stand aller Welt offen. Am liebsten sahen wir den Oberpriester kommen. Er lebte sich immer mehr in unsere Herzen ein und hatte die ganz besondere Gabe, immer gute Nachrichten zu bringen. Gleich an einem der ersten Tage brachte er zwei Personen mit, eine männliche und eine weibliche, die ihre Mantelkapuzen so weit vorgezogen hatten, daß sie ihre Gesichter fast ganz verdeckten.
„Hier bringe ich dir zwei liebe Bekannte von mir“, sagte der Basch Nasrani. „Sie sind nicht von hier, doch oft schon hiergewesen. Sie pflegen, ganz wie ich, in dem Haus meines Gastfreundes zu wohnen, in dem du mich mit dem Mir besuchtest. Sie sind soeben wieder einmal eingetroffen und haben den Wunsch, mit dir sprechen zu dürfen. Erlaubst du es?“
Ich nickte. Da warfen sie ihre Kapuzen zurück, und wen sah ich vor mir stehen? Abd el Fadl, den Fürsten von Halihm, und Merhameh, seine Tochter! Das war nicht Zufall, sondern Schickung! Sobald ich sie sah, kam ein Gedanke über mich, den ich festzuhalten hatte. Wie lautete die Weissagung, von der uns erzählt worden war? Die Güte und die Barmherzigkeit sollten hier im Dom ihre Stimmen erheben! Und überhaupt sollten Töne erklingen, die in Ardistan noch niemals erklungen seien! Heißt Fadl nicht Güte? Und Merhameh Barmherzigkeit? Und hatte ich sie nicht ihr herrliches ‚Morgen- und Abendgebet von Dschinnistan‘ singen hören? Wenn ihre beiden unvergleichlichen Stimmen im Solo oder Duett im Dom erschallten, mußte es von größter Wirkung sein! Und gab es nicht eine Orgel, die zwar hier aufgerichtet, aber noch nie gespielt worden war? Ich bin kein berufsmäßiger Orgelspieler und noch viel weniger ein Orgelvirtuose, aber den musikalischen Kenntnissen und Anforderungen der hiesigen Bevölkerung glaubte ich entsprechen zu können. Durfte da vielleicht das, was ich spielte, nicht als jene ‚Töne‘ genommen werden, ‚die in Ardistan noch nie erklungen sind‘? Können Weissagungen nur durch unsichtbare Engel erfüllt werden, nicht auch durch sichtbare Menschen?
Die Freude, die wir über das Eintreffen dieser beiden hochstehenden, seltenen Menschen empfanden, war ebenso groß wie aufrichtig. Die eigentliche Veranlassung ihres Kommens waren unsere Hunde, die sie nicht zu halten vermocht hatten. Ihre Flucht hatte besonders den Dschirbani in große Unruhe versetzt. Er glaubte, daß wir hierdurch in die größte Gefahr gebracht werden könnten, und hielt es für höchst notwendig, uns jemand nachzusenden, der die Befähigung besaß, sich heimlich in Ard nach uns zu erkundigen und die zu unserer Rettung geeigneten Maßregeln zu ergreifen. Sollte das nicht gelingen, so war er gesonnen, direkt hierher zu marschieren und uns mit Gewalt zu befreien. Abd el Fadl hatte sich sofort bereiterklärt, mit Merhameh nach Ard zu gehen. Er kannte das ganze Land, und er kannte auch die Stadt. Er war schon oft dagewesen, wenn auch nur heimlich, weil der Mir eine persönliche Abneigung gegen ihn besaß und ihn in seiner Residenz nicht duldete. Er gab sich als Märchenerzähler aus, der mit seiner Tochter nach Ard reite, um dort seines Berufes zu walten. Um nicht aufzufallen, waren sie nicht auf Pferden, sondern auf drei unscheinbaren, aber schnellen Eseln geritten und gestern abend angekommen. Ich sage drei, nicht bloß zwei Esel, weil der Dschirbani ihnen einen treuen, gewandten Begleiter mitgegeben hatte, der sofort den Rückweg antreten sollte, um sichere Nachricht zu bringen.
Glücklicherweise stand alles nicht nur gut, sondern sogar viel besser, als jemals zu erwarten gewesen war. Der Bote bekam außer dem mündlichen von mir auch noch einen schriftlichen Bescheid, durch welchen der Dschirbani von allem genau unterrichtet und also befähigt wurde, sich den Verhältnissen angemessen zu verhalten.
Es verstand sich ganz von selbst, daß die Anwesenheit des Fürsten und der Prinzessin von Halihm geheim zu bleiben hatte. Vom Mir konnten sie nicht erkannt werden, weil er Merhameh noch niemals und ihren Vater einmal nur aus sehr weiter Ferne gesehen hatte.
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