250 - Rückkehr nach Euree
übliche Tamtam veranstaltet: Schlachtopfer, Beschwörungsgesänge, stundenlange Tänze, Feuer, das ganze Programm. Aus den Gedärmen des geschlachteten Wakudastiers hatte er schließlich den Namen der Geisel gelesen: Twaysi.
Schon vor Beginn des Rituals hatte Biglord Djeyms gewusst, welchen Namen der Druud in den Eingeweiden des Wakudas lesen würde; jeder im Dorf hatte das. Und niemand wunderte sich darüber, dass der Grandlord sein neues Weib nicht verteidigte. War er doch selbst erst ein paar Winter zuvor der Todesstrafe entgangen [1] und erst im letzten Sommer von einer großen Bußfahrt zurückgekehrt. Der Druud beobachtete ihn genau. Wenn er auch nur ein klitzekleines Gesetz der Götter übertrat, war er fällig.
»Wean dia schon nix tun, die Viecha«, sagte der Druud. »Woll'n ja ihwe Geisel auch gesund zuwück ham eines Tags.«
»Eines Tages?« Twaysis Stimme zitterte vor Zorn und Angst. »Und wann wird das sein? Am Ende aller Zeiten, wenn wir uns vor Orguudoos Gerichtsstuhl wiedersehen? Eines Tages… Ich kotze gleich!« Sie spuckte nach dem Druud. »Nicht einmal zum Lügen habt ihr genug Verstand im Schädel!«
Auch deswegen hatte Twaysi sich von Anfang an beim Druud und vielen anderen unbeliebt gemacht: Weil sie immer aussprach, was sie dachte, und weil sie komisch redete. Sie sagte Orguudoo statt Oaguudoo und Lords statt Loads - und sie nannte sich selbst Traysi statt Twaysi .
Die Ruderboote brachen ins Schilf ein, ihre Bugs liefen auf Grund, je zwei Lords sprangen hinaus und zogen sie ans Ufer in den Schnee. Dann ging alles ganz schnell: Grandlord Paacival und vier Littlelords lieferten den Taratzen die gefesselte Hexe aus, und die Riesenratten übergaben den Lords ein gefesseltes Weibchen. Danach verschwanden die halbintelligenten Tiere mit ihrer Geisel im Ruinenwald und die Lords stiegen mit ihrer Gefangenen in ihre Ruderboote.
Während sie ans andere Ufer zurückruderten, warf Biglord Djeyms einen Blick auf die Geisel: Sie hatte schütteres weißgraues Fell mit kahlen Stellen, sah knochig und halb verhungert aus und atmete hechelnd und mit heraushängender, bleicher Zunge.
Das Taratzenweibchen war schwer krank.
Biglord Djeyms blickte schnell wieder auf den Fluss und in den erneut einsetzenden Schneefall, als hätte er nichts gesehen. Auch der Druud und der Grandlord taten, als würden sie den Zustand der Geisel nicht bemerken; alle taten so.
***
Atlantischer Ozean, August 2525
Das Grab. Immer musste er an das Grab seines Sohnes denken. Nicht an den Kampf, nicht an den tödlichen Blitz aus dem Kombacter, nicht an die gebrochenen Augen Daa'tans, immer nur an das Grab. Manchmal versuchte er diese Bilder wieder heraufzubeschwören - irgendwo in seinem Hirn waren sie ja gespeichert -, doch sofort schob sich das Bild des Grabes vor sein inneres Auge. Des Grabes und der Frau, die davor am Boden kniete.
Aruula.
Nachdem sie von Afra aufgebrochen waren, hatte sie tagelang nichts gegessen, kaum getrunken, und die beiden ersten Tage nur geweint.
Hatte er selbst eigentlich gegessen während dieser Woche nach der Tragödie? Commander Matthew Drax wusste es nicht mehr. Er fühlte sich ausgelaugt.
»Die Küsten Eurees«, sagte Rulfan mit hohler Stimme, und Chira sprang auf und kläffte ihm schwanzwedelnd zu. Wahrscheinlich freute sich die Lupa(mutierter Wolf mit doppelten Zahnreihen), dass er endlich wieder etwas sagte, hatte er doch seit dem Start von jener verfluchten Insel im Victoriasee immer nur geschwiegen. In seiner Brust dagegen herrschte vermutlich kein Schweigen. In Gedanken musste er schreien, wie nur waidwunde Tiere es können.
Lay war tot, seine Geliebte. Sie war Daa'tans letztes Opfer gewesen. Bevor sein eigener Vater ihn… Langsam und irgendwie mühsam hob Rulfan seinen rechten Arm und deutete zum Frontfenster hinaus. Im Dunst der Morgendämmerung war dort der Küstenstreifen der iberischen Halbinsel zu erkennen. Portugal hatte das Land einst geheißen.
Portugal - in Matts Hirnwindungen fühlte der Name sich ähnlich fremd an wie der Name Babylon oder Konstantinopel oder Ninive . Er nickte nur stumm.
Rulfan saß rechts von ihm auf dem Sessel des Copiloten. Der Sessel des Aufklärers schräg hinter ihnen war leer. Nicht länger als eine Stunde hatte Aruula dort gesessen. Matt Drax überprüfte den Kurs, stellte auf Autopilot, stand auf und verließ das Cockpit.
Er fand sie in der Koje ihrer gemeinsamen Kajüte. Aruula lag auf der Seite, zusammengekauert wie ein Kind, und starrte die
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