253 - Das Terror-Gen
jedem von dem roten Brabeelenwein nach, dann kramte er umständlich in seiner Jackentasche nach einem Brief, den ihm der Sohn des Lordkanzlers für Victoria Windsor mitgegeben hatte.
Als er endlich sein Anliegen vortrug, war die Stimmung mehr als gereizt. Doch wenigstens kam er ohne Umschweife zur Sache. »Auch einige der Nosfera sind an der Grippe erkrankt. Eine Zeitlang benötigen sie mehr Blut von uns als die übliche Ration. Ich gehe davon aus, dass jeder von euch Verständnis dafür hat.« Damit hob er sein Glas und prostete den anderen zu.
Doch keiner der Technos erwiderte seine Geste. Für einige Augenblicke herrschte eisiges Schweigen am Tisch. Der Erste, der sich äußerte, war Ibrahim Fahka. »Keinen Tropfen. Hörst du, keinen Tropfen Blut werden diese Sauger mehr von mir bekommen. Seit Monaten schon sollten sie weg sein. So lautete die Abmachung. Warum sind sie noch hier?« Fahkas Lippen bebten vor Erregung, und seine Augen waren nur noch schmale Schlitze, aus denen er Leonard wütend anstarrte.
Gabriels Mundwinkel verzogen sich zu einem spöttischen Lächeln. »Wir hätten heute nicht einem einzigen Kranken da draußen helfen können, wenn die Nosfera nicht wären. Joonah hätte die Krisensituation auf der Insel doch sofort ausgenutzt.«
»Es war Zeit genug, uns von den Soldaten des Lordkanzlers Unterstützung gegen Joonah zu holen«, rief Cinderella Loomer aufgebracht.
Als die anderen ihr zustimmten, platzte Leonard der Kragen. »Was soll das? Ist es zu viel verlangt, sich ein kleines bisschen dankbar gegenüber seinen Rettern zu zeigen?«, brüllte er. Doch damit machte er die Sache nur noch schlimmer. Nun sprang Fahka von seinem Sitz. Seine Faust krachte auf die Tischplatte, während er Gabriel beschuldigte, ein falsches Spiel zu treiben. Sarah Kucholsky und die schwarzhäutig Pilotin unterstützten ihn lautstark. Nach wenigen Minuten artete das Ganze in üble Beschimpfungen aus. Die Einzigen, die sich nicht an dem Geschrei beteiligten, waren Eve Neuf-Deville und Lady Windsor.
Während die Psychologin zusammengesunken an Leonards Seite saß und sich mit zitternden Fingern eine Zigarette bastelte, beobachtete die ehemalige Queen nachdenklich den Prime. Schließlich erhob sie sich. »Schluss jetzt!« Sie musste schreien, um sich Gehör zu verschaffen. Als es endlich still war, wandte sie sich an Gabriel. »Die Anderen haben recht: Die Nosfera müssen gehen, sobald ihre Kranken wieder gesund sind. Dann werden wir Wolter Wallis bitten, Soldaten des Lordkanzlers zu unserem Schutz abzustellen!«
»Das kannst du nicht alleine entscheiden«, entgegnete der Prime mit brüchiger Stimme.
»Das habe ich auch nicht. Es ist eine Mehrheitsentscheidung.«
Betroffen blickte Sir Leonard in die Runde. Er machte den Eindruck eines in die Enge getriebenen Tieres. »Verstehe.« Damit stand er auf. Ohne weitere Worte zu verschwenden, verließ er das Küchenhaus. Draußen lenkte er seine Schritte zu dem Pfad beim kleinen See. Er dachte an die goldenen Zeiten der Technos zurück. Als in der Community von Salisbury noch die Rätediktatur herrschte und in London jede Entscheidung des Octaviats der Queen vorgelegt wurde.
Doch die Rätediktatur gehörte der Vergangenheit an und eine Queen gab es nicht mehr. Sie selbst hatte sich nach dem EMP und ihrer Befreiung aus dem von Lords besetzten Bunker zur Zivilperson erklärt.
Dennoch ließen sich die extremen Lebensbedingungen hier nicht demokratisch bewältigen. Warum konnten Victoria und die anderen das nicht begreifen? Ungeduldig strich sich Leonard über seine schweißnasse Stirn. Inzwischen hatte er den Pfad erreicht und ertastete sich in der Dunkelheit den Weg zum See. Dort angekommen, ließ er sich auf einem flachen Findling nieder. Angespannt starrte er auf die unbewegliche Oberfläche des Wassers, in der sich das schwache Licht der Mondsichel spiegelte.
Es war vergebliche Mühe, noch weitere Erklärungen an seine Gefährten zu verschwenden. Er brauchte seine Kraft für die Durchführung der nächsten Schritte. Der Schritte, die ihn und die anderen zur Herrschaft über Guunsay führen würden. Doch im Moment wusste er kaum noch, was als nächstes zu tun war. Die einstige Klarheit seiner Gedanken wich zunehmend einer nebulösen Vorstellung von dem, was sein könnte. »Ich werde alt«, seufzte Gabriel.
Doch dann dachte er an Breedy. Bei ihr spürte er weder sein Alter, noch irgendwelche Zweifel an seinem Tun. Schon als sie ihm das erste Mal im Garten von Gundars
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