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255 - Winterhexe

255 - Winterhexe

Titel: 255 - Winterhexe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Weinland
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Heute würde er alles auf eine Karte setzen und sich mit seiner Beute, die er in aller Ruhe ausgewählt hatte, aus dem Staub machen!
    Das Gewicht des Aggregats drückte ihm ins Kreuz. Er hatte es in einem Sack auf den Rücken gebunden und zur Tarnung einen weiten Umhang darüber gezogen. Einer flüchtigen Begegnung würde das standhalten, aber keiner genauen Überprüfung.
    Auf leisen Sohlen und dem kürzesten aller Wege, die ihn unbehelligt nach draußen führen konnten, bewegte er sich durch die kaum erhellten Korridore von Corrs steinerner Bastion, die Palast und Festung zugleich war. Der Gedanke an den Clanführer ließ Rothschild den Schweiß ausbrechen. Aber beinahe mehr noch als der Herr von Ayr beschäftigte den Retrologen, was er alles hatte zurücklassen müssen. Die Qual der Wahl hatte dazu geführt, dass er aus Vernunfts- und Überlebensgründen letztlich tatsächlich nur dieses eine Artefakt aus dem Fundus ausgewählt hatte, um sich damit auf und davon zu machen.
    Was für eine Verschwendung, so viel Tekknik in den Händen eines Idioten zurückzulassen, der damit, falls er überhaupt jemals damit umzugehen lernte, nur Not und Elend säen würde.
    Lautlos seufzend setzte er seinen Weg fort. In den ersten Tagen hatte er sich mehrfach verlaufen, aber inzwischen fand er sich in dem Gewirr der Gänge fast blind zurecht. Noch diesen Gang bis zum Ende, dann links abbiegen und -
    In all den Nächten und frühen Morgenstunden war es vollkommen still in dem trutzigen Gemäuer gewesen. Heute, ausgerechnet heute, nicht.
    Da war Geschrei, waren Flüche und Verwünschungen, unterbrochen von Schmerzlauten, Schlägen, Tritten… Was ging da vor?
    Rothschild erstarrte zunächst, dann zog er sich für eine Minute in eine Wandnische zurück, von wo aus er angestrengt lauschte.
    Die Geräusche setzten sich fort. Offenbar handelte es sich um keinen größeren Tumult, aber immer wieder klang eine Frauenstimme durch, die Rothschild eindringlich vermittelte, dass irgendwo ganz in der Nähe ein Verbrechen geschah. Einem Mädchen - die Stimme klang jung, wenn auch nicht mehr kindlich - wurde Gewalt angetan. Von einem widerlichen Kerl, der ihren Widerstand fast zu feiern schien, denn immer wieder war sein anstachelndes Gelächter zu hören. Dazu Satzfetzen wie: »… nur zu, mein Täubchen… Du hast Temperament… Autsch! Das war meine Hand, du Biest! Dir geb ich's…!«
    Rothschild schob sich aus der Nische und wollte seinen Weg fortsetzen. Die Not des Mädchens quälte ihn, aber er wusste, was für ihn selbst auf dem Spiel stand. Sich einzumischen, hätte die eigene Chance auf ein Entkommen minimiert.
    Gleichzeitig lief in seinem Kopf ein Film ab. Er sah regelrecht, was sich dort drüben abspielte. Einer von Angus Corrs Leibwächtern machte sich über eine junge Frau her, die daran nicht den geringsten Gefallen fand. Er würde sie missbrauchen, tat es vielleicht bereits…
    Stöhnend, weil es nicht die Entscheidung war, die sein Verstand getroffen hätte, bog Rothschild an der nächsten Gangkreuzung nicht nach links ab, was ihn dem Ausgang näher gebracht hätte, sondern nach rechts. Schon nach wenigen Sekunden erreichte er eine offene Tür, hinter der Kerzenschein flackerte.
    Ein Blick genügte, die Situation zu überblicken. Sie entsprach dem erwarteten Szenario. Nur dass das Mädchen viel hübscher war, als Rothschild erwartet hatte - und der Unhold viel größer, wuchtiger, barbarischer.
    Aber für eine Umkehr war es zu spät. Das Mädchen starrte an ihrem Peiniger, der mit heruntergelassener Hose halb auf ihr lag, vorbei auf Rothschild… und der bullige Mann bemerkte es sofort. Sein Kopf ruckte herum, er starrte dem Retrologen entgegen.
    Rothschild wusste, dass er etwas tun musste. Und zwar sofort, denn das Muskelpaket stemmte sich bereits hoch. Im Aufstehen angelte sich eine Pranke den abgelegten Gürtel, an dem ein Kurzschwert baumelte.
    Rothschild war immer noch wie gelähmt. Dann aber senkte er den Kopf und warf sich dem Koloss entgegen.
    Viel zu langsam. Noch bevor er seinen mehr als doppelt so schweren Gegner erreichte, hatte der die Klinge aus der Scheide gerissen und in Position gebracht. Rothschild versuchte noch zu bremsen, auszuweichen. Aber er wurde vorangetrieben durch das Gewicht auf seinem Rücken. So taumelte er der Schwertspitze entgegen…
    3.
    Ende Oktober 2525
    »Meinst du wirklich? Blind?« Aruula wandte Matt zweifelnd das Gesicht zu. Sie saß vor ihm im Sattel des Horseys, das sie sich

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