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255 - Winterhexe

255 - Winterhexe

Titel: 255 - Winterhexe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Weinland
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das Artefakt jetzt noch aufzugeben? Rothschild war dafür gestorben. Im Grunde war es sein Vermächtnis, und das wollte Gwaysi in Ehren halten.
    Müde und abgekämpft kam sie schließlich vor einem Aufbau aus hellem Stein an, der doppelt so hoch, wie sie groß war, aus dem Boden ragte und von kleineren Sockeln umgeben war, an denen mit Seilen vertäut die großen Ballons hoch in der Luft schwankten.
    In dem Aufbau war eine Metallfläche zu sehen, die aufglitt, als Gwaysi sich auf wenige Schritte genähert hatte. Der Mann, der heraustrat, war älter als erwartet; Gwaysi schätzte ihn auf Mitte fünfzig. Seine silberne Kleidung unterschied sich von allem, was sie bislang gesehen hatte. Als wäre sie ein Artefakt aus einer Zeit, die nur noch in den Überlieferungen existierte.
    Der Fremde, einen Kopf größer als sie selbst und hager, fast abgemagert, begrüßte sie ebenso verhalten, wie sie den Gruß erwiderte.
    »Wie heißt du?«, fragte er, während er die Hand in eindeutiger Geste ausstreckte - nicht um Gwaysis Hand zu schütteln, sondern um von ihr den Rucksack zu fordern. »Mein Name ist Balcron.«
    Balcron.
    Ein seltsamer Name, aber auch nicht merkwürdiger als… »Gwaysi.«
    »Gwaysi…« Er ließ sich das Wort auf der Zunge zergehen. »Roth fand dich in Ayr?«
    »So könnte man sagen.«
    »Und wohin willst du jetzt?«
    Erst nach einer Weile verstand sie, was Balcron ihr mit der Frage zu verstehen geben wollte: Sie hatte ihre Schuldigkeit getan und konnte gehen.
    »Arschloch«, keuchte Gwaysi, streifte den Rucksack zwar ab, hielt ihn aber fest, holte damit aus… und schleuderte ihn Balcron wie eine Keule entgegen.
    Beim Versuch auszuweichen, geriet der Mann ins Straucheln und stürzte. Das bewahrte ihn davor, mit voller Breitseite getroffen zu werden.
    Fluchend rappelte er sich wieder auf und wollte auf Gwaysi losgehen. Plötzlich hielt er ein merkwürdiges Ding in der Hand, unschwer als Waffe der Alten zu erkennen, und die Art, wie er es auf Gwaysi richtete, ließ wenig Zweifel, dass er sie benutzen würde.
    Verdammtes Arschloch! Ziel damit gefälligst auf dich selbst! Was hab ich dir getan?
    Das Unglaubliche geschah: Balcron richtete die Waffe gegen sich selbst… und brach im nächsten Moment zuckend vor Gwaysi zusammen. Bläuliche Flammen umloderten ihn wie Miniaturblitze. Sie züngelten aus der Spitze des winzigen Geräts hervor, das er eben noch festgehalten hatte, jetzt aber im Sturz fallen ließ.
    Spätestens in diesem Moment begriff Gwaysi, dass das Geschehene nicht mehr mit Zufall - und eigentlich auch nicht mit dem gesunden Menschenverstand - zu erklären war. Sie hatte sich gewünscht , was gerade passiert war… und es war passiert.
    So wie die Snäkke geflohen war, als Gwaysi es sich inständig erhoffte.
    Und so, wie sie trotz all der Widrigkeiten aus Ayr entkommen waren, obwohl sie eigentlich an jeder Ecke Häschern in die Arme hätten laufen müssen…
    Sie brauchte dennoch Zeit, um die Erkenntnis zu verdauen, dass sie nicht nur auf Menschen, sondern sogar auf Monster und Mutationen Einfluss nehmen konnte - allein kraft ihrer Gedanken.
    »Hätte ich das früher gewusst…«, murmelte sie, während sie sich zu Balcron hinabbeugte und ihm Zeige- und Mittelfinger gegen die Halsschlagader drückte. »Was hätte ich mir alles ersparen können?«
    Aber offenbar hatte es einer Initialzündung bedurft, um die Gabe, über die sie offenbar verfügte, zu erwecken.
    Unter ihren Fingerkuppen spürte sie das Klopfen von Balcrons Puls. Die Waffe entfaltete demnach keine tödliche Wirkung - was für ihn sprach. Offenbar hatte er sich nur vor ihrem Wutausbruch schützen wollen und nicht anders zu helfen gewusst. Kurz entschlossen zerrte Gwaysi das Leichtgewicht von Mann durch die offene Tür und von dort aus die Treppe hinab, die in die Tiefe führte. Ob hier auch Rothschild gehaust hatte?
    Die Erinnerung an den verlorenen Geliebten mobilisierte neue Kräfte. Sie schleppte den Besinnungslosen in einen unterirdischen Bereich, der sie aus dem Staunen nicht mehr herauskommen ließ. Überall brannte künstliches Licht, leuchteten Bildschirme, flackerten Symbole über die Mattscheiben…
    »Wo bin ich hier nur gelandet?« Es gab nur einen, der ihr das beantworten konnte. Und der kam gerade langsam wieder zu sich…
    ***
    Balcron war ein Träumer.
    Balcron glaubte an das Paradies… das er selbst erschaffen wollte.
    »Ich muss alles erfahren, was es über diesen Ort hier zu wissen gibt, über dich und über

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