2574 - Das Lied der Vatrox
Das ist ein Problem, das uns zu einem Umdenken unserer
Gesellschaftsform zwingen wird. Doch zurück zu dir.«
Usenba legte die Fingerspitzen aneinander.
»Die Veränderung verbreitet sich exponentiell, was bedeuten wird, dass eines Tages alle Frauen dazu in der Lage sein werden, Gedanken zu lesen. Wobei die Gabe unterschiedlich ausgeprägt
sein wird. Und bei dir, sei es durch die Raumfahrt begünstigt oder nicht, haben wir enorme
Kapazitäten festgestellt, die den unseren in nichts nachstehen.«
»Also sammelt ihr alle Frauen ein, bei denen die Gabe auffällig wird?«, fragte Cagra.
»Allerdings. Unser Ziel ist es, diese Kräfte zu fördern, auszubilden und weiterzuentwickeln.
Nicht alle schaffen das. Aber du hast sämtliche Voraussetzungen bestens erfüllt, um unserem Orden
beizutreten und uns zu unterstützen.«
»Ich fühle mich geschmeichelt«, bemerkte Cagra trocken. »Nach der Schinderei der vergangenen
Wochen scheint mir das auch angemessen. Aber offen gestanden..«
»Ja?«
»Ich bin mit ganzem Herzen Raumfahrerin, und mir ist die Entwicklung der überlichtschnellen
Raumfahrt bedeutend wichtiger. Es mag eine schöne Erfahrung sein, seine Gedanken aktiv mit
anderen Frauen teilen zu können, aber das bringt uns keinen Schritt weiter ins All hinaus.«
»Noch nicht«, räumte Usenba ein. »Doch es steckt viel, viel mehr dahinter, als du ahnen
kannst. Zu diesem Zeitpunkt eröffnen wir dir selbstverständlich noch nicht alles. Das wird sich
erst ändern, wenn du als unsere Ordensschwester ein Teil von uns bist.«
»Ich halte dieses Angebot für einen Köder«, erwiderte Cagra. »Ihr setzt mich damit unter
Druck.«
»Es wäre zum Nutzen aller.«
»Ein einzelnes Opfer kann das ganze Volk verändern?«
»Du müsstest gar nicht so viel aufgeben.«
Da war sich Cagra nicht so sicher. Als Kommandantin eines Schiffes hatte sie eine exponierte
Position, in der sie sich nur den Vorgesetzten in der Raumfahrtbehörde unterwerfen musste.
Ansonsten war sie sich selbst gegenüber verantwortlich und konnte frei entscheiden. Gerade darauf
legte sie Wert - und ihr gesamter Ehrgeiz hatte sich seit früher Jugend darauf konzentriert, das
All zu erobern.
»Was geschieht, wenn ich ablehne?«
»Nichts«, antwortete Usenba. »Du unterschreibst eine Geheimhaltungs- und Verzichtserklärung,
fährst mit dem Aufzug nach unten und verlässt das Gebäude, ohne es je wieder betreten zu dürfen.
Bislang bist du keine Geheimnisträgerin, und worüber solltest du auch berichten? Man würde
annehmen, dass du dich wegen des Vorfalls draußen am Rand des Systems einer Behandlung
unterziehen musstest. Ich denke, es würde eher negativ auf dich zurückfallen.«
»Ist das jetzt etwa anders? Hat die Raumfahrtbehörde mich etwa noch nicht offiziell
entlassen?«
»Nein. Du könntest tun, was du bisher auch getan hast.«
»Plus Gedankenlesen.«
Usenbas Stirnfalten wölbten sich über ihre gelborangenen Augen. »Wir werden dich überwachen.
Und entsprechend handeln.«
Cagra wollte nicht wissen, was genau das bedeutete. Sie hatte die Drohung verstanden und nahm
sie ernst.
Also dann. Ihr wurde angeboten, einem Orden beizutreten, über den sie nichts wusste, außer
dass die höchsten Regierungskreise zu ihm gehörten. Damit würde sie womöglich an der größten
Verschwörung aller Zeiten beteiligt, die das gesamte Volk der Vatrox betraf.
Doch konnte dieser Schritt auch zum Guten dienen. Sie hatte ebenso die Möglichkeit, zu
beobachten und zu handeln, wenn sie es geschickt anstellte.
Oder sie kehrte zu ihrem Leben zurück und konzentrierte sich auf das bisher gesteckte Ziel.
Und führte das Volk auf diese Weise in eine neue Ära, wenn sie half, die Raumfahrttechnologie zu
verbessern, was sicherlich eine Lebensaufgabe darstellte.
Die Frauen ließen sie in Ruhe nachdenken. Niemand kramte in ihren Gedanken, das konnte nicht
mehr unbemerkt geschehen. So gut war keine Anwesende, dass sie sich einfach in ihren Verstand
schleichen konnte, um ihn auszuhorchen.
Also bin ich doch kein verkappter Mann, dachte sie selbstironisch, nachdem die
Männer auf dieser Ebene offenbar taub sind.
»Ihr erwartet meine Entscheidung sofort?«
»Jetzt und hier«, bestätigte Usenba. »Nimm dir so viel Zeit, wie du brauchst, aber du wirst
den Raum vorher nicht verlassen und wir auch nicht.«
Cagra Honovoch hatte niemals in ihren Entscheidungen gezögert, immer gewusst, was das Richtige
war. Das hatte
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