2578 - Das mahnende Schauspiel
erzählen.
Eroin Blitzer legte den Kopf leicht schief. Das runzlige Gesicht verzog sich, die Augen wurden
zu schmalen Schlitzen. »Du wirst beeinflusst, Alraska?«
Verärgert schüttelte er den Kopf. »Ich werde nicht beeinflusst. Ich bin
mentalstabilisiert, ich ... «
»Hast du nicht erzählt, dass die Immaterielle Stadt dich beeinflusst hat?«
»Das war ... etwas anderes«, stieß Saedelaere aus.
»Und weshalb hast du den Anzug der Vernichtung freiwillig abgelegt? Hat er dich nicht gegen
die Beeinflussung geschützt?«
Saedelaere sog scharf Luft ein. »Das hat nichts mit der aktuellen Situation zu tun! Sag mir
nicht, dass du diese seltsame ... Ausstrahlung nicht auch festgestellt hast!«
»Ich weiß, dass etwas nicht stimmt«, begehrte Blitzer auf. »Dafür benötige ich keine
diffuse Wahrnehmung von Gefühlen!«
Saedelaere schloss die Augen, schluckte den aufgeflammten Zorn hinunter. Der Maskenträger
wusste, dass er dem Kleinen unrecht tat.
»Ich bitte dich um Entschuldigung, Eroin. Meine Worte waren nicht mit Bedacht gewählt. Du hast
nicht so unrecht mit dem, was du gesagt hast. Dennoch gehe ich nicht davon aus, dass ich beeinflusst werde - jedenfalls nicht im klassischen Sinne.«
»In welchem Sinne dann?«
»Lass uns über das mahnende Schauspiel sprechen«, lenkte Saedelaere von den unangenehmen
Fragen ab. »Welche Rückschlüsse hast du bisher gezogen?«
Widerwillig ließ sich Blitzer auf eine Diskussion über die bis jetzt gesammelten Daten ein. Er
hatte aber weder zu den Namen, die im Schauspiel vorkamen, noch über die Herkunft der Mimen oder
der grauhäutigen Theaterleitung irgendwelche Ideen oder Hintergrundinformationen. Der
Zwergandroide wusste genauso wenig wie der Terraner. Ihr Gespräch drehte sich im Kreis.
Alaska Saedelaere fühlte fast ein wenig Erleichterung, als sich Vetri über das Interkomsystem
meldete. In blumigen Worten erklärte ihre Betreuerin, dass es nun an der Zeit sei, Saedelaere und
Blitzer zu dem Ort zu führen, an dem die versprochene Überraschung stattfinden würde.
*
(Der Kanzler würgt den Narren. Die Prinzessin erscheint.)
KANZLER, lässt ab: »Die Prinzessin!«
HOFNARR, schwärmt: »Und der Himmel berührt Elicon.«
KANZLER: »Du hast kein Recht, so über sie zu sprechen.«
HOFNARR: »Auf welchem unsäglichen Stück Papier ist das Gesetz geschrieben, das
mir jenes Recht absprechen will?«
KANZLER: »Auf keinem. Es ist das Gesetz des klaren Geistes. Denn der Narr
spricht stets mit giftender Zunge: Er zieht in den Schmutz, was rein bleiben muss.«
HOFNARR: »Nichts wisst Ihr von meinem Stande!«
Das mahnende Schauspiel vom See der Tränen, 1. Akt, 3. Szene (Auszug)
4.
Das mahnende Schauspiel
Vetri holte sie direkt von ihrer Suite ab. Über den zentralen Antigravlif t schwebten sie bis
in die Spitze des Turmes.
Saedelaere versuchte, sich von der betörenden Präsenz Vetris nicht allzu stark ablenken zu
lassen. Es gelang nur teilweise.
Blitzers Worte kamen ihm in den Sinn. Der Maskenträger fragte sich, ob nicht doch eine Form
der Beeinflussung stattfand, die es wegen seiner Mentalstabilisierung eigentlich gar nicht
geben dürfte.
Saedelaere schüttelte verärgert den Kopf. Er durfte sich nicht verrückt machen lassen.
Der Antigravlift endete in einem in dunklen Farben gehaltenen Zwischenstockwerk. Über eine
breite Wendeltreppe stiegen sie zum eigentlichen Ballsaal hinauf. Am Ende jeder fünften Stufe
stand eine in Marmor gemeißelte Theaterfigur.
An ihren Haltungen, Roben und Utensilien, wie Schwerter oder Reichsapfel, erkannte Saedelaere
die meisten klassischen Theaterrollen wieder.
König, Königin, Prinzessin, Narr, Feldherr, der Tod, der Berater, der Magier, die Hexen
...
Sie schienen unabhängig voneinander auf vielen, von Humanoiden bevölkerten Planeten entstanden
zu sein.
Es gab nur etwa zwei oder drei Figuren, denen der Maskenträger keine terranische Entsprechung
zuzuordnen vermochte. Als er die Figur auf der letzten Stufe sah, erschrak er so heftig, dass er
mit der Fußspitze an einer Stufe hängenblieb und nur deshalb nicht stürzte, weil Vetri ihn
geistesgegenwärtig am linken Oberarm packte und seinen Sturz auffing.
»Danke!«, murmelte er undeutlich, ohne den Blick von der Statue zu nehmen. »Wer ... was ist das?«
»Eine unserer klassischen Theaterfiguren«, antwortete Vetri. Sie hielt seinen Oberarm einige
Herzschläge zu lange fest, was in Saedelaere trotz des
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