259 - Die Stunde der Wahrheit
tauchte hinab, fort von der Strömung, die hier oben heftiger war als unten zwischen den Häusern. Er hatte auf dem Weg in die Stadt ein verfallenes Viertel gesehen, in dem Trümmerstücke lagen. Dorthin schwamm er so schnell er es vermochte. Ihm wurde schwindelig vor Anstrengung, doch er gab diesem Gefühl nicht nach. Sein Geist war seine größte Waffe. In endlosen Meditationen hatte er gelernt, die Bedürfnisse seines Körpers zu ignorieren.
Hinter sich hörte er die Stimme von diesem Vog'ler. Auch seine eigene Stimme war zu hören. Also war Dra'nis unter der Menge! Aber er war doch gefangen?
Fast hätte der Hydrit abgestoppt, um sich umzusehen, doch seine Disziplin trieb ihn voran. Unaufhörlich rotierten seine Gedanken, während er einen Schwimmzug nach dem anderen zurücklegte.
Ein schwarzes Netz schoss auf ihn zu und verfehlte ihn nur knapp.
Dra'nis! Das muss es sein! Er ist entkommen! Wie war das möglich?
Hak'don entschied, dass er jetzt keine Zeit für derartige Überlegungen hatte. Der aufgebrachte Mob war hinter ihm her. Gut dreißig Hydriten verfolgten ihn! Die meisten von ihnen waren verkrüppelt und entsprechend langsam, aber einige wenige waren erstaunlich gut in Form. Wenn er ihnen in die Hände fiel, war es aus. Dann würde er Skorm'ak und die anderen Bundmitglieder niemals wieder sehen.
Er verbot sich jeden weiteren Gedanken und holte alles aus dem kleinen Körper heraus.
Ein erster Blitzstab wurde auf ihn abgefeuert. Das Wasser schmeckte metallisch in seinen Kiemen, doch der Schütze hatte ihn verfehlt. Ihn bei diesem Tempo zu treffen war nicht einfach. Es erforderte einen guten Schützen mit ruhiger Hand.
Hak'don überkam eine unheimliche Gelassenheit. Seine Nerven waren fest wie der Stein, in den diese Stadt geschlagen und gesprengt worden war.
Mit nur wenigen Schwimmlängen Vorsprung tauchte er in das zertrümmerte Stadtviertel ein. Er nutzte seinen kleinen Körper und schwamm wagemutig zwischen Ruinen hindurch, zwängte sich durch aufeinander gestürzte Haustrümmer. Zug um Zug näherte er sich dem Park und damit dem Ausgang der Stadt. Wenn er es durch die Röhre zurück zu den Quallen schaffte, hatte er gewonnen! Die Quallen des Bundes waren schnell, und sie ließen sich nicht von anderen Hydriten bedienen. Eine spezielle Sicherung verhinderte ihren Raub.
Aber meinen Körper werde ich aufgeben müssen.
Zorn, der ihm neue Kraft gab, durchflutete Hak'don. Die Schreie und Blitzstabentladungen hinter ihm spornten ihn zusätzlich an. Er schwamm um sein Leben. Inzwischen waren nur noch zehn Hydriten nah an ihm, unter ihnen Vog'ler und Dra'nis. Auch diese Clar'ice konnte er erkennen. Die Marsianerin.
Mit einigem Vorsprung erreichte er die freie Fläche zum Ausgang der Stadt. Seine Verfolger holten rasch auf. Hak'don spürte, wie die Kräfte ihn verließen. Unbarmherzig schwamm er weiter. Gegen die Strömung. Gegen die aufkommende Hoffnungslosigkeit.
In den Meeren gibt es keinen Platz für Versager!
Er legte Länge um Länge zurück. Schon konnte er die Röhre erkennen! Aber was war das? Eine Qualle trieb direkt neben dem Ausgang im Wasser!
Mit Schrecken fiel ihm die interne Funkverbindung der Stadt ein! Die Hydriten mussten die Qualle bereits vorausgeschickt haben, ehe sie das Bibliotheksgebäude umstellten, um ihm den Weg abzuschneiden!
Hak'don brüllte vor Wut in einem harten Klackern und Gurgeln. Er zögerte und verlor dadurch wertvolle Zeit. Schon war der erste Verfolger heran! Vog'ler! Der Marsianer! Hak'don fuhr herum. Er riss das Messer unter dem Lendenschurz hervor, das er dort verborgen hatte.
Hinter Vogler sah er die anderen näherkommen. Die meisten wirkten von dem langen Schwimmen ebenso erschöpft wie er selbst. Er erkannte neben seinem eigenen Körper Pozai'don, Clar'ice, einen grauhaarigen Menschenmann und sechs weitere Verwachsene mit vor Erschöpfung fahler Schuppenhaut. Und Quart'ol, den verhassten Totgeglaubten, der ganz am Ende des Verfolgungszuges mit zwei Frauen schwamm.
Hak'don hob das Messer und legte es an seine eigene Kehle. Vogler verharrte in seinem Schwimmzug.
»Komm nicht näher!«, klackerte der Adjutant Hak'dons. »Wenn du näherkommst, töte ich diesen Körper! Ich habe nichts mehr zu verlieren!«
Vogler zögerte. Hak'don sah es mit Befriedigung. Er wusste aus Dra'nis' Erinnerung, wie eng die Bindung zwischen dem Hydritenjungen und dem Marsianer war.
Beunruhigt sah er zu Pozai'don, der einen weiten Bogen zu der Qualle hinter ihm schwamm. Auch die
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