2590 - Der Tote und der Sterbende
er das hier? Oder sah er in eine ganz andere Zukunft? Alles ist stets im Fluss, ich habe keine Gewähr dafür, dass er recht hatte. Aber selbst wenn: Wie soll ich handeln? Ich bin zum Nicht-Handeln verurteilt!
»Wie geht es dir?«, fragt Mondra.
»Na, wie wohl?«, antworte ich grob. »Die Uhr tickt, die Sekunden verrinnen.«
»Trinken wir einen Kaffee«, schlägt Perrys Begleiterin vor und zieht mich mit sich, hin zu jener kleinen Nische, die wir uns von Mikru in der Zentrale ausbedungen haben.
Mondra erhitzt Wasser, gießt das Kaffeesubstrat dazu und drückt mir die Tasse in die Hand. Der Rand wird nach etwa zwei Minuten aufleuchten und darauf hinweisen, dass sich Geschmack und Aroma nun optimal ausgebreitet hätten.
»Wir werden eine Lösung finden«, sagt Mondra und rührt gedankenverloren in ihrem Grüntee. »Was auch immer diese Fehlfunktion bewirkt hat - wir werden der Ursache auf den Grund gehen.«
»Und wie, bitte schön?«, frage ich heftiger als beabsichtigt. »In mir steckt ein Ding, das - aus welchen Gründen auch immer - aufgehört hat zu funktionieren. Der Einzige, der eine Reparatur oder einen Austausch vornehmen könnte, hält derzeit Winterschlaf - oder ist am Ende sogar derjenige, der den Zellaktivator abgedreht hat.«
»Du weißt, dass Perry seine Freunde niemals im Stich lässt.«
»Und was will er unternehmen? Mit einem Schraubendreher in meiner Schulter herumstochern, oder nach dem Ein-Aus-Schalter suchen? - Nein, Mondra: Mein Schicksal liegt nicht mehr in meiner Hand und auch nicht in deiner oder Perrys.«
»Aber ... «
»Ich habe lange genug über alle möglichen Aber nachgedacht. Sie zählen nicht. Ich darf keine Gerechtigkeit erwarten und schon gar nicht, dass meine Lebensgeschichte einen perfekten Abschluss findet. Es wird offene Enden geben. Und ich werde ziemlich zornig gehen.«
Die Tasse gibt Signal. Der Kaffee ist trinkbereit. Ich starre sie an und stelle sie beiseite, ohne einen Schluck genommen zu haben. Mir ist jegliche Lust vergangen.
Ich verlasse das kleine Kabuff und suche mir einen ungestörten Ort im Rund der Zentrale. Ich lasse mich von zig Dutzend virtuellen Holo-Schirmen einpacken. Sie zeigen mir das räumliche Umfeld von MIKRU-JON und sie schützen mich vor allzu neugierigen Blicken und Fragen.
*
Perry ist in der Lage, wesentlich mehr als ich zu leisten. Er ist gewissermaßen Teil des Schiffs. Besser noch, als trüge er eine SERT-Haube. Seine Sinne haben sich mit MIKRU-JONS Sinnen verbunden.
Es würde mich verrückt machen, einfach dazusitzen, untätig, und auf mein Ende zu warten. Ich muss etwas unternehmen, muss den Frust, der sich in mir anstaut, in Arbeitskraft umsetzen.
Ich halte Kontakt mit den anderen Silberkugeln. Ich entziehe ihnen Forschungsdaten, so rasch und so gut es geht, und stelle sie in Relation zu jenen, die wir aufgenommen haben.
Jener Hyperblitz, dem ich zum Opfer gefallen bin, hat auch bei den Silberkugeln Icho Tolots, Miranda Fishbaughs und Betty Toufrys Datenreflexionen ausgelöst. Ich vergleiche die Werte, wäge sie gegeneinander ab und suche nach zusätzlichen Informationen, die MIKRU-JON womöglich entgangen sind.
Es gibt nichts, was sich mit den Mitteln des Schiffs und mit meinem bescheidenen Verständnis von ultrahochfrequenter Strahlung deuten lässt.
Mondra unternimmt immer wieder Versuche, mich aus meiner selbst gewählten Isolation zu reißen. Sie sucht das Gespräch, möchte mich mit allen Mitteln für sich einnehmen. Doch ich weise sie zurück. Ein Gespräch über meine Empfindungen zu führen ist so ziemlich das Letzte, woran ich derzeit Interesse habe.
»Da habe ich etwas«, unterbricht Perry meine Überlegungen.
Ich schrecke hoch und regle die Transparenz der Holo-Schirme so weit, dass ich meinen Freund dahinter erkennen kann.
»Was hast du?«, frage ich ihn.
»Es gibt ein Zentrum, besser gesagt: eine einzige Quelle für die Hintergrundstrahlung, die seit dem ersten großen Hyperblitz zu erfassen ist. Sie stammt aus diesem Bereich.«
Er schickt mir die Markierung mit einer einfachen Geste auf meine Holo- Schirme. Das betreffende Raumgebiet befindet sich in einem Rand der Schneise.
Ich nehme die verfügbaren Daten auf und versuche, die Vergleichsrechnungen nachzuvollziehen. Die Informationen stammen von allen acht Silberkugeln und werden in einer hochkomplexen Mehrpunkt-Analyse miteinander verglichen. Ich wäre niemals in der Lage gewesen, eine derartige Rechenarbeit zu bewältigen. Doch Perry war es in
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