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2590 - Der Tote und der Sterbende

2590 - Der Tote und der Sterbende

Titel: 2590 - Der Tote und der Sterbende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Marcus Thurner
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auf der Erde vor 50 oder 60 Jahren wieder mal modern gewesen waren.
    »Ich fühle nichts mehr«, versuche ich in Worte zu fassen, was ich empfinde. »Du kennst dieses Gefühl eines leichten Schauers? Das Kribbeln, das vom Chip ausgeht und umso stärker wird, je mehr man sich anstrengt und je müder man ist?«
    »Nur zu gut.«
    »Es ist wie weg, wie abgerissen. Ich kann den Zellaktivator in mir spüren. Doch er ist wie ein totes Ding.«
    »Dieser seltsame Anfall bewirkte ein Gefühl der Taubheit, nicht wahr? Er brachte deine Sinneswahrnehmungen durcheinander. Wahrscheinlich bist du nach wie vor beeinträchtigt.«
    »Ich bin völlig in Ordnung, glaub mir. Ich höre, sehe, rieche, schmecke - und ich fühle, dass das verfluchte Ding in meiner Schulter aufgehört hat zu arbeiten.«
    Da ist die Panik. Es mag lächerlich klingen - aber ich fühle mich zu jung, um zu sterben! Und schon gar nicht ausgerechnet in diesem Moment! Es gibt so viele Aufgaben, die ich zu bewältigen habe; so viele Dinge zu sehen, so viele Rätsel zu lösen. Und dann all die ungeklärten Angelegenheiten in meinem Privatleben ... Mein kompliziertes Verhältnis zu Zhanauta ...Ich habe zu tun, ich kann nicht einfach so abtreten. Nicht jetzt!
    »Bleib ruhig.« Perry steht auf, macht ein paar Schritte und legt mir eine Hand völlig unvermutet auf die Schulter. Es ist ein unbeholfener Versuch, mir seine Freundschaft zu beweisen. Er war noch niemals gut mit derartigen Gesten.
    Ich möchte ihn wegstoßen. Ich brauche keine schönen Worte und schon gar keinen Trost. Ich schließe die Augen und erinnere mich der Upanishad-Weisheiten, die ich vor gefühlten Ewigkeiten verinnerlicht habe. Allmählich gewinne ich meine Fassung zurück.
    »Zehnter Mai dreiundsechzig, vierzehn Uhr«, sage ich so gefasst wie möglich. »Ich habe noch knapp zweiundsechzig Stunden zu leben. Soll ich dir was sagen, Perry?«
    »Und zwar?«
    »Ich habe eine Scheißangst.«
    »Vor dem Tod?«
    »Vor dem Sterben.«
    »Wir haben eine derartige Situation schon einmal durchgestanden«, erinnert er mich an jene unglückseligen Jahre, da die Superintelligenz ES von allen guten Geistern verlassen war. Als sie die Zellaktivatoren zurückverlangte, um sie den Friedensstiftern aus dem Volk der Linguiden auszuhändigen.
    »Ich weiß. Aber ...« Mir fehlen die Worte. Ich kann es nicht mit Worten erklären. Es ist, als hätten mich mit dem Erscheinen des Hyperblitzes all mein Mut und all meine Zuversicht verlassen.
    »MIKRU-JON wird dich auf Herz und Nieren durchchecken. Vielleicht funktioniert der Zellaktivator noch, und du kannst bloß seine Wirkung aus irgendeinem Grund nicht mehr spüren?«
    »Ja, vielleicht.« Perry möchte mir Mut machen. Doch ich weiß, was ich weiß.
    Ich stehe auf und folge ihm. Mikru wartet vor der Tür. Sie schenkt mir einen durchdringenden Blick. Es ist, als würde sie sich das erste Mal für mich interessieren, seit ich an Bord des Obeliskenschiffs gekommen bin.
    Womöglich bin ich eine ganz besondere Herausforderung für das Schiff. Vielleicht erwartet es sich neues Wissen und neue Kenntnisse. Eine Technik zu erforschen, wie sie in einem Zellaktivator steckt, muss der Traum jedes wissenschaftlich ausgebildeten Verstands sein - auch wenn er künstlich sein mag.
    »Ich werde Gewebeproben entnehmen, mit Sonden arbeiten, werde Nanomaschinen in die Blutbahnen einschleusen und selbstverständlich auch das Gerät selbst in Augenschein nehmen«, sagt Mikru.
    »Nein! Du wirst den Zellaktivator auf keinen Fall angreifen.«
    »Aber ... «
    »Kein Wenn und Aber!«, stelle ich unwiderruflich fest. »In meinem SERUN sind ausreichend Bio-Vergleichsdaten abgespeichert. Gewebevergleiche sollten reichen, um festzustellen, ob der regenerative Prozess nach wie vor im Gang ist oder nicht.«
    Wir wissen viel zu wenig über die von ES verabreichten Vitalenergiespeicher; ihre Funktionsweise bleibt unklar, auch wenn wir die Prinzipien längst durchschaut haben. Die alten Lemurer waren uns diesbezüglich einen großen Schritt voraus. Allerdings dürfte damals ES seine Finger im Spiel gehabt haben. Es stellt sich die Frage, ob wir in der Erforschung Leben erhaltender Mechanismen während der letzten Jahrhunderte nicht zu wenig getan haben.
    Ich fühle Zorn - und bemerke im selben Augenblick, dass ich viel zu selbstsüchtig denke. Ist diese emotionelle
    Schräglage, die ich derzeit durchmache, etwa auch eine Auswirkung des Hyperblitzes?
    »Mikru wird mit der notwendigen Vorsicht vorgehen, nicht

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