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noch nicht kannte, ob man hier etwas zu essen bekommen könne. Der Junge sagte, sie hätten keine Küche, aber er könne sich draußen im Automaten Kekse oder Schokoladenriegel ziehen. Auf der Straße fuhren von Zeit zu Zeit Lastwagen in Richtung Norden oder Süden, und auf der gegenüberliegenden Seite sah man die Lichter der Raststätte. Dorthin lenkte er seine Schritte. Als er jedoch die Straße überquerte, hätte ihn fast ein Auto erwischt. Einen Moment lang glaubte er, er sei betrunken, aber dann erinnerte er sich, dass er vorher, betrunken oder nicht betrunken, nach rechts und links geschaut hatte und keine Autoscheinwerfer zu sehen gewesen waren. Woher also war der Wagen gekommen? Ich muss auf dem Rückweg besser aufpassen, dachte er. Die Raststätte war hell erleuchtet und fast leer. Hinter dem Tresen saß ein etwa fünfzehnjähriges Mädchen und las eine Illustrierte. Fate fand, dass sie einen sehr kleinen Kopf hatte. An der Kasse saß eine zweite, etwa zwanzigjährige Frau, die ihm mit den Augen folgte, als er auf einen Hotdog-Automaten zuging.
»Sie müssen erst zahlen«, sagte die Frau auf Spanisch.
»Ich verstehe nicht«, sagte Fate, »ich bin Amerikaner.«
Die Frau wiederholte ihren Satz auf Englisch.
»Zwei Hotdogs und eine Dose Bier, bitte«, sagte Fate.
Die Frau zog einen Bleistift aus ihrem Dienstkittel und schrieb auf, was Fate bezahlen sollte.
»Dollars oder Pesos?«, fragte Fate.
»Pesos«, sagte die Frau.
Fate legte einen Schein neben die Registrierkasse und holte sich aus dem Kühlschrank eine Dose Bier, dann gab er dem Mädchen mit dem kleinen Kopf durch Fingerzeichen zu verstehen, wie viele Hotdogs er wollte. Das Mädchen servierte ihm die Hotdogs, und Fate fragte sie, wie der Soßenspender funktionierte.
»Drücken Sie auf den gewünschten Knopf«, sagte das Mädchen auf Englisch.
Fate drückte Ketchup, Senf und eine Art Guacamole auf einen der Hotdogs und aß ihn gleich auf.
»Schmeckt gut«, sagte er.
»Freut mich«, sagte das Mädchen.
Dann wiederholte er die Prozedur mit dem zweiten Hotdog und wandte sich zur Kasse, um das Wechselgeld einzusammeln. Er nahm ein paar Münzen, kehrte zu dem Mädchen zurück und reichte sie ihr als Trinkgeld.
»Gracias, Señorita«, sagte er.
Anschließend ging er mit seiner Bierdose und dem Hotdog zur Straße zurück. Während er drei Lastwagen abwartete, die an ihm vorbei von Santa Teresa Richtung Arizona fuhren, erinnerte er sich an das, was er zur Kassiererin gesagt harte. Ich bin Amerikaner. Warum habe ich nicht gesagt, ich sei Afroamerikaner? Weil ich im Ausland bin? Aber kann man das als Ausland gelten lassen, wo ich doch, wenn ich wollte, auf der Stelle und sogar zu Fuß in mein Land zurückkehren könnte? Heißt das nicht, dass ich an einem Ort Amerikaner, anderswo Afroamerikaner und wieder anderswo logischerweise niemand bin?
Nach dem Aufwachen rief er den Leiter der Sportredaktion seiner Zeitung an, um ihm zu sagen, dass Pickett nicht in Santa Teresa sei.
»Das ist normal«, sagte der Sportchef, »wahrscheinlich befindet er sich auf irgendeiner Ranch in der Umgebung von Las Vegas.«
»Und wie zum Teufel soll ich dann ein Interview mit ihm machen?«, sagte Fate, »soll ich etwa nach Las Vegas fahren?«
»Es ist nicht nötig, dass du jemanden interviewst, wir brauchen nur einen, der über den Kampf berichtet, du weißt schon, Atmosphäre einfangen, die Stimmung am Ring, Picketts Form und welchen Eindruck er auf die gottverdammten Mexikaner macht.«
»Die Prolegomena des Kampfes«, sagte Fate.
»Die Prole-was?«, fragte der Sportchef.
»Die gottverdammte Atmosphäre«, sagte Fate.
»In einfachen Worten«, sagte der Sportchef, »so, als würdest du in einer Kneipe eine Geschichte erzählen, und alle um dich rum wären deine Freunde, nur darauf gespannt, deine Geschichte zu hören.«
»Verstanden«, sagte Fate, »du bekommst es übermorgen.«
»Wenn du irgendwas nicht verstehst, mach dir keine Sorgen, wir redigieren dich so zurecht, als hättest du dein ganzes Leben am Ring verbracht.«
»In Ordnung, verstanden«, sagte Fate.
Als er auf die Veranda vor seinem Zimmer trat, sah er drei blonde Kinder, fast Albinos, die mit einem weißen Ball, einem roten Eimer und roten Plastikschaufeln spielten. Der Älteste war vielleicht fünf, der jüngste drei Jahre alt. Es war kein sicherer Ort für Kinder zum Spielen. In einem Moment der Unachtsamkeit konnten sie auf die Straße laufen und von einem Lastwagen überfahren werden. Er sah
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