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sagte der mexikanische Polizist, als würde er die Nutten seit Schulzeiten kennen. In der Schlange standen auch einige US-amerikanische Touristen, die sich lautstark unterhielten. Was wirst du jetzt tun, Harry?, fragte Ramírez. Ich fahre nach Santa Teresa, sagte Harry Magaña mit gesenktem Blick. In dieser Nacht folgte er dem Lauf der Sterne. Als er den Río Colorado überquerte, sah er einen Meteoriten am Himmel oder eine Sternschnuppe und tat einen stummen Wunsch, wie er es von seiner Mutter gelernt hatte. Er fuhr die einsame Landstraße von San Luis nach Los Vidrios entlang. Dort machte er halt, trank zwei Tassen Kaffee, ohne an etwas Bestimmtes zu denken, spürte, wie die heiße Flüssigkeit die Speiseröhre hinunterlief und sie verbrannte. Dann nahm er die Straße von Los Vidrios nach Sonoyta und bog in südlicher Richtung nach Caborca ab. Auf der Suche nach der Ausfallstraße kam er durch die Innenstadt, wo außer der Tankstelle alles geschlossen zu haben schien. Er fuhr jetzt Richtung Osten, passierte Altar, Pueblo Nuevo und Santa Ana und gelangte schließlich auf die vierspurige Hauptstraße nach Nogales und Santa Teresa. Um vier Uhr morgens traf er in der Stadt ein. In der Wohnung von Demetrio Águila war niemand, weshalb er sich gar nicht erst hinlegte. Er wusch sich Gesicht und Arme, Brust und Achseln mit kaltem Wasser und nahm ein sauberes Hemd aus der Reisetasche. Das Innere Angelegenheiten hatte noch nicht geschlossen, als er dort ankam und die Madame zu sprechen verlangte. Der Typ, zu dem er das sagte, sah ihn spöttisch an. Er stand hinter einem Tresen aus gedrechseltem Holz, einer Bühne für eine einzelne Person, einen Animateur oder Conférencier, was ihn größer aussehen ließ, als er war. Hier gibt es keine Madame, Señor, sagte er. Dann möchte ich mit dem Leiter sprechen, sagte Harry Magaña. Es gibt auch keinen Leiter, Señor. Wer hat das Sagen?, fragte Harry Magaña. Es gibt eine Leiterin, Señor. Unsere Leiterin für Öffentlichkeitsarbeit, Señor. Señorita Isela. Harry Magaña unternahm den Versuch eines Lächelns und sagte, er würde gern kurz mit Señorita Isela sprechen. Gehen Sie hinauf in die Diskothek und fragen Sie nach ihr, sagte der Animateur. Harry Magaña gelangte in einen Salon und sah einen Mann mit weißem Schurrbart in einem Sessel sitzen und schlafen. Die Wände waren mit einem roten, gepolsterten Stoff bespannt, als wäre der Salon eine Art Gummizelle in einem Irrenhaus für Huren. Auf der Treppe mit dem ebenfalls rot gepolsterten Geländer kam ihm eine Prostituierte in Begleitung eines Kunden entgegen, die er am Arm festhielt. Er fragte sie, ob Elsa Fuentes noch hier arbeite. Hauen Sie ab, sagte die Prostituierte und setzte ihren Weg fort. In der Diskothek waren ziemlich viele Leute, obwohl die Musik aus Boleros und trauriger Tanzmusik aus dem Süden bestand. Die Paare bewegten sich kaum in der Dunkelheit. Mit Mühe entdeckte er einen Kellner und fragte ihn, wo er Señorita Isela finden könne. Der Kellner deutete auf eine Tür am anderen Ende der Diskothek. Señorita Isela befand sich in Gesellschaft eines etwa fünfzigjährigen Mannes in schwarzem Anzug und gelber Krawatte. Als man ihn bat, Platz zu nehmen, ging der Mann zur Seite und lehnte sich ans Fenster, das zur Straße ging. Harry Magaña sagte, er sei auf der Suche nach Elsa Fuentes. Darf man erfahren, warum?, fragte Señorita Isela. Nicht für Geld und gute Worte, sagte Harry Magaña lächelnd. Señorita Isela lachte. Sie war schlank und wohlgeformt, trug auf der linken Schulter einen tätowierten blauen Schmetterling und war vermutlich nicht einmal zweiundzwanzig. Der Typ am Fenster versuchte ebenfalls zu lachen, heraus kam aber nur eine Fratze, bei der noch nicht einmal seine Oberlippe in Bewegung geriet. Sie arbeitet nicht mehr hier, sagte Señorita Isela. Seit wann?, fragte Harry Magaña. Ungefähr seit einem Monat, sagte Señorita Isela. Wissen Sie, wo ich sie finden kann? Señorita Isela sah zu dem Mann am Fenster und fragte, ob man es ihm sagen könne. Warum nicht, sagte der Mann. Wenn wir nicht mit der Sprache herausrücken, erfährt er es woanders. Der Gringo sieht aus, als könne er sehr hartnäckig sein. Stimmt, sagte Harry Magaña, ich kann sehr hartnäckig sein. Also spann ihn nicht länger auf die Folter, Iselita, und sag ihm, wo Elsa Fuentes wohnt, sagte der Mann. Señorita Isela zog ein längliches Kontobuch mit dickem Einband aus einer Schublade und blätterte darin. Elsa Fuentes wohnt, soweit
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