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2666

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Titel: 2666 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roberto Bolaño
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    Die Tote hieß Erica Mendoza. Sie war einundzwanzig und Mutter zweier kleiner Kinder. Ihr Mann, Arturo Olivárez, war ein eifersüchtiger Typ, der sie regelmäßig misshandelte. An dem Abend, an dem er beschloss, seine Frau zu töten, war er betrunken und hatte Besuch von seinem Vetter. Sie sahen ein Fußballspiel im Fernsehen und unterhielten sich über Sport und Frauen. Erica sah nicht fern, da sie kochte. Die Kinder schliefen. Plötzlich stand Olivárez auf, packte ein Messer und forderte seinen Vetter auf, mitzukommen. Zusammen brachten sie Erica auf die andere Seite der Hauptstraße nach Pueblo Azul. Laut Olivárez hatte die Frau zunächst nicht protestiert. Dann schlugen sie sich in die Wüste und gingen daran, sie zu vergewaltigen. Olivárez machte den Anfang. Anschließend sagte er zu seinem Vetter, er solle das Gleiche tun, was dieser zunächst ablehnte. Olivárez' Benehmen gab ihm jedoch zu verstehen, dass eine Weigerung fatale Folgen haben konnte. Nachdem beide sie vergewaltigt hatten, begann Olivárez, gezielt auf seine Frau einzustechen. Danach gruben sie mit den Händen ein in jeder Hinsicht unzureichendes Loch und ließen das Opfer darin liegen. Zurück in der Wohnung fürchtete Segovia, Olivárez könnte auf ihn oder die Kinder losgehen, aber von diesem schien eine große Last abgefallen, er wirkte entspannt, zumindest soweit dies unter den gegebenen Umständen möglich war. Sie sahen weiter fern, aßen zusammen, und drei Stunden später ging Segovia nach Hause. Der Weg, den er vor sich hatte, war wegen der späten Stunde lang und hindernisreich. Er lief eine Dreiviertelstunde zur Siedlung Madero, wo er eine halbe Stunde auf den Bus von Avenida Madero nach Avenida Carranza wartete. In der Siedlung Carranza stieg er aus, ging in Richtung Norden, durchquerte die Siedlungen Veracruz und Ciudad Nueva, bis er zur Avenida Cementerio kam, von wo aus er in gerader Linie zu seinem Haus in der Siedlung San Bartolomé lief. Alles in allem über vier Stunden. Die Sonne stand schon am Himmel, als er endlich ankam, aber weil Sonntag war, traf er nur wenige Menschen auf der Straße. Die glückliche Aufklärung des Falls Erica Mendoza gewann der Polizei von Santa Teresa in den Medien ein gewisses Vertrauen zurück.
    In den Medien des Bundesstaates Sonora. Denn in DF hatte die feministische Gruppierung FRAUEN IN AKTION (FA) in einer Fernsehsendung die nicht abebbende Mordserie in Santa Teresa angeprangert und die Regierung aufgefordert, Beamte aus der Hauptstadt zu entsenden, um die Situation in den Griff zu bekommen, da man von der Unfähigkeit, wenn nicht gar von einer Verstrickung der Polizei von Sonora ausgehen müsse, der das Problem in jeder Hinsicht über den Kopf gewachsen sei. In der Sendung wurde auch die Frage des Serienmörders angesprochen. Steckte hinter den Verbrechen ein Serienmörder? Zwei Serienmörder? Drei? Der Moderator der Sendung erinnerte an Haas, der im Gefängnis saß und für den noch kein Gerichtstermin anberaumt sei. Die Frauen in Aktion sagten, Haas diene wahrscheinlich als Sündenbock, und der Moderator solle doch einen einzigen stichhaltigen Beweis gegen ihn anführen. Sie sprachen auch von der FSDF, den Feministinnen von Sonora, solidarischen, mutig auftretenden Mitstreiterinnen, die ihre Arbeit unter den widrigsten Umständen machten, und äußerten sich abfällig über die Hellseherin, die in einer regionalen Fernsehsendung mit ihnen aufgetreten sei, eine lächerliche alte Schachtel, die aus den Verbrechen offenbar Kapital zu schlagen versuche.
    Manchmal hatte Elvira Campos den Verdacht, ganz Mexiko habe den Verstand verloren. Als sie im Fernsehen die Frauen von FA sah, erkannte sie in einer von ihnen eine ehemalige Kommilitonin. Sie wirkte verändert, stark gealtert, dachte sie mit Schrecken, faltig, die Wangen schlaff, aber sie war es. Die Ärztin González León. Ob sie noch als Medizinerin tätig war? Und warum diese Verachtung für die Hellseherin aus Hermosillo? Die Leiterin der Nervenklinik von Santa Teresa spürte plötzlich Lust, Juan de Dios Martínez nach Einzelheiten zu den Morden zu fragen, wusste aber, dass die Beziehung dadurch enger werden und sie mit ihm ein verschlossenes Zimmer betreten würde, zu dem sie allein den Schlüssel besaß. Manchmal dachte Elvira Campos, das Beste wäre, aus Mexiko fortzugehen. Oder sich umzubringen, bevor man fünfundfünfzig wurde. Oder vielleicht sechsundfünfzig?
    Im Juli entdeckte man rund fünfhundert Meter neben der

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