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Hauptstraße nach Cananea die Leiche einer Frau. Das Opfer war nackt, und nach Ansicht von Juan de Dios Martínez, der sich des Falls annahm, bis er von Kommissar Lino Rivera abgelöst wurde, war der Mord an Ort und Stelle begangen worden, denn in der geschlossenen Hand der Toten fand man etwas Zacate, das nur in dieser Gegend wuchs. Nach Ansicht des Gerichtsmediziners war der Tod auf ein Schädelhirntrauma oder drei Stichverletzungen im Brustbereich zurückzuführen, er wollte darüber aber kein definitives Urteil fällen, da dies aufgrund des Verwesungszustands der Leiche ohne eine genaue pathologische Untersuchung unmöglich sei. Diese Untersuchung wurde von drei Medizinstudenten der Universität von Santa Teresa vorgenommen, deren Ergebnisse auf dem Weg ins Archiv verloren gingen. Die Tote war etwa fünfzehn bis sechzehn Jahre alt. Sie wurde nie identifiziert.
Wenig später entdeckten Francisco Álvarez und Juan Carlos Reyes vom Rauschgiftdezernat der Kriminalpolizei in der Nähe der Grenze, an ähnlicher Stelle wie damals Lucy Ann Sander, die Leiche eines etwa sechzehnjährigen Mädchens. Auf Nachfrage von Kommissar Ortiz Rebolledo gaben sie an, einen Anruf von Kollegen der US-amerikanischen Grenzpatrouille erhalten zu haben, die sie auf einen merkwürdigen Gegenstand nahe der Grenzlinie aufmerksam machten. Álvarez und Reyes dachten, es könne sich um einen Packen Kokain handeln, den eine Gruppe illegaler Einwanderer verloren hatte, und fuhren zu der bezeichneten Stelle. Dem Gerichtsmediziner zufolge hatte das Opfer ein gebrochenes Zungenbein, war also erwürgt worden. Zuvor hatte man sich an ihr vergangen, sie unter anderem anal und vaginal vergewaltigt. Bei der Durchsicht der Vermisstenanzeigen stellte sich heraus, dass es sich bei der Toten um Guadalupe Elena Blanco handelte. Sie war vor knapp einer Woche mit ihrem Vater, ihrer Mutter und drei kleinen Geschwistern aus Pachuca nach Santa Teresa gekommen. Am Tag ihres Verschwindens hatte sie bei einer Maquiladora im Industriepark EI Progreso ein Vorstellungsgespräch und wurde nicht mehr gesehen. Den Vertretern der Maquiladora zufolge war sie nicht zum Gespräch erschienen. Ihre Eltern stellten noch am gleichen Tag eine Vermisstenanzeige. Guadalupe war ein schlankes Mädchen, eins dreiundsechzig groß und hatte langes, schwarzes Haar. Als sie zu dem Vorstellungsgespräch in der Maquiladora ging, trug sie Jeans und eine dunkelgrüne, für diesen Anlass neu gekaufte Bluse.
Wenig später wurde in einer Nebenstraße, die an der Rückseite eines Kinos vorbeiführte, die sechzehnjährige Linda Vázquez erstochen aufgefunden. Nach Aussage der Eltern war Linda zusammen mit einer Freundin, María Clara Soto Wolf, einer siebzehnjährigen Schulkameradin, ins Kino gegangen. Als die Kommissare Juan de Dios Martínez und Efraín Bustelo sie zu Hause befragten, erklärte María Clara, sie sei mit ihrer Freundin im Kino gewesen, sie hätten einen Film mit Tom Cruise gesehen. Nach der Vorstellung habe María Clara angeboten, Linda nach Hause zu fahren, diese habe aber gesagt, sie sei noch mit ihrem Freund verabredet, weshalb María Clara gegangen sei, während Linda am Eingang des Kinos stehenblieb, um sich die Bilder für die Filme der nächsten Woche anzuschauen. Als María Clara wieder am Kino vorbeikam, diesmal in ihrem Wagen, stand Linda noch immer da. Es war noch nicht ganz dunkel. Es fiel nicht schwer, ihren Freund, einen Sechzehnjährigen namens Enrique Sarabia, ausfindig zu machen, der jedoch abstritt, mit Linda verabredet gewesen zu sein. Nicht nur seine Eltern, auch die Hausangestellte und zwei Freunde waren bereit zu bezeugen, dass Enrique an diesem Tag nicht aus dem Haus gegangen sei, sondern zunächst am Computer gespielt und später im Pool geschwommen habe. Am Abend waren zwei Pärchen, Freunde der Eltern, zu Besuch, die ebenfalls sein Alibi bestätigten. In der Umgebung des Kinos hatte niemand etwas gesehen oder gehört, obwohl an Lindas Verletzungen deutlich zu erkennen war, dass sie sich gewehrt hatte. Juan de Dios Martínez und Efraín Bustelo beschlossen, bei der Kartenverkäuferin die dritte Stufe anzuwenden. Diese sagte, sie habe ein Mädchen warten und kurz darauf einen Jungen an sie herantreten sehen, der nicht derselben Gesellschaftsschicht anzugehören schien wie sie. Auf sie habe es den Eindruck gemacht, als verbände die beiden mehr als Freundschaft. Mehr könne sie nicht sagen, denn wenn sie keine Karten verkaufe, würde sie im Kartenhäuschen
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