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2666

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Titel: 2666 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roberto Bolaño
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dagegen habe sie leibhaftig gesehen, habe ihre Stimme gehört, ihre Silhouette vor der unendlichen Weite der Pampa gesehen. Ich habe mit ihr gesprochen, und auch sie hat mit mir gesprochen. Worüber soll ich mich beklagen? Unterdessen besorgte Mike in Buenos Aires den Schnitt des Films in einem Studio in der Calle Corrientes, das er stundenweise für billigstes Geld mietete. Einen Monat nach Ende der Dreharbeiten verliebte sich eine der jungen Schauspielerinnen in einen italienischen Revolutionär auf der Durchreise und ging mit ihm nach Europa. Es ging das Gerücht, beide, die Schauspielerin und der Italiener, seien verschwunden. Dann hieß es plötzlich aus heiterem Himmel, die Schauspielerin sei bei den Dreharbeiten zu Epsteins Film gestorben, und wenig später wurde gemunkelt, obwohl niemand das ernst nahm, wie man klar sagen muss, dass Epstein und sein Team sie ermordet hätten. Der letzten These zufolge wollte Epstein einen realen Mord filmen und habe sich zu diesem Zweck mit Billigung der übrigen Schauspieler und der Crew, die in dieser Phase kollektiver Raserei alle in satanische Praktiken verstrickt waren, der unbekanntesten und schwächsten Schauspielerin am Set bedient. Als Epstein von diesen Gerüchten erfuhr, kümmerte er sich persönlich um ihre Verbreitung, und mit leichten Abwandlungen erreichte die Geschichte einige kinobegeisterte Kreise in den USA. Im Jahr darauf wurde der Film in Los Angeles und New York gezeigt. Es wurde ein totaler Flop. Es handelte sich um einen englisch synchronisierten Film, chaotisch, mit schwachem Drehbuch und erbärmlicher Schauspielerleistung. Epstein, der in die USA zurückkehrte, versuchte auf die morbide Schiene zu setzen, aber ein Fernsehkommentator bewies Frame für Frame, dass die Szene des vermeintlich realen Mordes gefälscht war. Diese Schauspielerin, schloss der Kritiker, hätte für ihre schwache Vorstellung den Tod verdient, tatsächlich aber besaß zumindest in diesem Film niemand genügend Geschmack, sie umzubringen. Nach Snuff drehte Epstein noch zwei weitere Filme, beide mit minimalem Budget. Clarissa, seine Frau, blieb in Buenos Aires, wo sie mit einem argentinischen Filmproduzenten zusammenlebte. Ihr neuer Begleiter, ein Peronist, war später aktives Mitglied einer Todesschwadron, die Trotzkisten und Gewerkschafter ermordete und schließlich Kinder und Hausangestellte verschwinden ließ. Unter der Militärdiktatur kehrte Clarissa in die USA zurück. Ein Jahr zuvor, bei den Dreharbeiten zu seinem, wie sich herausstellen sollte, letzten Film (in dessen Abspann sein Name nicht auftaucht), kam Epstein beim Sturz in einen Fahrstuhlschacht ums Leben. Der Zustand der Leiche vierzehn Stockwerke tiefer war Zeugen zufolge unbeschreiblich.
    In der zweiten Märzwoche 1997 setzte der makabre Reigen mit dem Fund einer Leiche in einer öden Gegend namens El Rosario im Süden der Stadt wieder ein; das Gebiet war Teil eines Stadtentwicklungsplans, es sollte dort ein Viertel mit Häusern im Phönix-Stil entstehen. Man fand die Leiche halb vergraben rund fünfzig Meter abseits des Wegs, der El Rosario durchquerte und mit einer Pistenstraße verband, die durch den östlichen Teil des Barranco de Podestá führte. Der Bauer einer nahe gelegenen Ranch hatte sie im Vorbeireiten entdeckt. Den Gerichtsmedizinern zufolge wurde der Tod durch Strangulation und Bruch des Zungenbeins herbeigeführt. Trotz des Verwesungszustands der Leiche ließen sich Spuren von Schlägen an Kopf, Händen und Beinen feststellen, die von einem harten Gegenstand stammen mussten. Wahrscheinlich lag eine Vergewaltigung vor. Anhand der im Körper nachweisbaren Leichenfauna konnte das Sterbedatum auf die erste oder zweite Februarwoche eingegrenzt werden. Direkte Hinweise auf ihre Identität fehlten, aber das Datum passte zu Guadalupe Guzmán Prieto, elf Jahre, verschwunden am Abend des achten Februar in der Siedlung San Bartolomé. Anthropometrische und odontologische Untersuchungen wurden vorgenommen und erhärteten den Verdacht. Danach unterzog man den Leichnam einer erneuten Autopsie, die die Schlagspuren und Hämatome am Schädel, die Quetschungen am Hals sowie den Bruch des Zungenbeins bestätigten. Einer der mit dem Fall befassten Kommissare deutete an, dass man sie möglicherweise mit bloßen Händen erwürgt habe. Außerdem fand man Schlagspuren am rechten Oberschenkel und am Gesäß. Die Eltern erkannten in der Leiche ihre Tochter Guadalupe wieder. In La Voz de Sonora las man, der Körper sei,

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