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Feldweg genommen und sich verfahren. Die Polizei von Santa Teresa war der Ansicht, die Gringos seien von der Hauptstraße abgefahren, um Schweinereien zu veranstalten, mit anderen Worten, um sich gegenseitig in den Arsch zu ficken, und steckten die vier bis auf weiteres hinter Gitter. Bei Einbruch der Nacht, als die Studenten und ihr Professor schon seit über acht Stunden eingesperrt waren, erschien Epifanio Galindo auf dem Revier und wollte ihre Geschichte hören. Die US-Amerikaner erzählten sie noch einmal und zeichneten sogar eine Karte, die den genauen Fundort der halb vergrabenen Leiche zeigte. Auf die Frage, ob sie sich vielleicht getäuscht und nur die Knochen eines Rinds oder eines Kojoten gesehen haben könnten, erwiderte der Professor, dass kein Tierschädel, der eines Menschenaffen vielleicht ausgenommen, mit dem eines Menschen zu verwechseln sei. Der Unterton, mit dem er das sagte, versetzte Epifanio einen Stich, und er beschloss, den Ort des Geschehens am nächsten Tag in aller Frühe und in Begleitung der Gringos in Augenschein zu nehmen, weshalb er entschied, dass Letztere zwecks Beschleunigung des ganzen Vorgangs in der Nähe, sprich, Gäste der Polizei von Santa Teresa bleiben sollten, in einer Zelle nur für sie allein, mit Verpflegung auf Staatskosten, aber nicht der allgemeine Gefängnisfraß, sondern anständiges Essen, das einer der Polizisten in der nächstgelegenen Cafeteria holen sollte. Und ungeachtet der Proteste der Ausländer blieb es dabei. Am nächsten Tag fuhren Epifanio Galindo, mehrere Polizisten und zwei Kommissare in Begleitung der Entdecker der Leiche zum Ort des Geschehens, einem Ort, der als El Pajonal, Grasland, bekannt war, eine Bezeichnung, die mehr dem Wunsch als der Wirklichkeit Ausdruck verlieh, denn es gab dort weder Gras noch etwas Ähnliches, nur Wüste und Steine und hin und wieder ein paar graugrüne Sträucher, bei deren bloßem Anblick sich die Miene desjenigen verdüsterte, der solcher Trostlosigkeit ansichtig wurde. Genau an der von den Gringos bezeichneten Stelle fanden sie die nachlässig verscharrten Knochen. Dem Gerichtsmediziner zufolge handelte es sich um eine junge Frau, der man das Zungenbein gebrochen hatte. Sie trug weder Kleider noch Schuhe noch sonst etwas, woran man sie hätte identifizieren können. Haben sie den Leichnam splitternackt mitgebracht oder sie hier ausgezogen, bevor sie sie begruben?, fragte Epifanio. Nennst du das begraben?, fragte der Gerichtsmediziner. Nein, du hast recht, Doktor, sagte Epifanio, große Mühe gegeben haben sie sich nicht.
Einen Tag später fand man die Leiche von Elena Montoya, zwanzig, am Rande des Feldwegs, der vom Friedhof zur Ranch La Cruz führt. Von der Frau fehlte seit drei Tagen jede Spur, eine Vermisstenanzeige war bereits in Umlauf. Ihr Körper wies Messerstiche im Unterleib auf, Abschürfungen an Handgelenken und Knöcheln, Quetschungen am Hals sowie eine Schädelverletzung, die von einem stumpfen Gegenstand herrührte, vielleicht von einem Hammer oder von einem Stein. Den Fall übernahm Lino Rivera, dessen erste Maßnahme darin bestand, den Ehemann der Toten, Samuel Blanco Blanco, zu verhören und zu diesem Behufe vier Tage lang festzuhalten, wonach man ihn aus Mangel an Beweisen laufenließ. Elena Montoya arbeitete in der Maquiladora Cal&Son und hatte ein drei Monate altes Baby.
Am letzten Märztag fanden Müllkinder auf der Müllkippe El Chile eine völlig verweste Leiche. Was von ihr übrig war, wurde in das Gerichtsmedizinische Institut der Stadt gebracht, wo alle obligatorischen Untersuchungen vorgenommen wurden. Heraus kam, dass es sich um eine fünfzehn bis zwanzig Jahre alte Frau handelte. Nicht festgestellt werden konnte die Ursache ihres Todes, der, den Medizinern zufolge, gut zwölf Monate zurückliegen musste. Diese Angaben jedoch alarmierten die Familie González Reséndiz aus Guanajuato, deren Tochter zu jener Zeit verschwunden war, weshalb die Polizei von Guanajuato von den Kollegen in Santa Teresa den anatomischen Bericht über die in El Chile gefundene Tote anforderte, insbesondere die Übersendung des odontologischen Befunds. Nachdem die Befunde eingetroffen waren, bestätigte sich, dass es sich bei der Toten um die sechzehnjährige Irene González Reséndiz handelte, die im Januar 1996 nach einem Familienstreit von zu Hause fortgelaufen war. Ihr Vater war ein bekannter Provinzpolitiker des PRI, und ihre Mutter trat in einer beliebten Fernsehsendung auf, um ihre Tochter vor laufender
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