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Eindruck, als könnte er jeden Augenblick ohnmächtig werden), mit ihm in die Straßenbahn zu steigen, und auf diese Weise, den Abschied immer weiter hinausschiebend, half sie ihm die Treppe zu seiner Wohnung hinauf, half ihm beim Öffnen seiner Wohnungstür, half ihm, sich aufs Bett zu legen, und während Iwanow noch immer in Tränen zerfloss, musterte das Mädchen seine übrigens recht armselige Bibliothek, bis plötzlich die Tür aufging und Ansky eintrat.
Sie hieß Nadja Jureniewa und war neunzehn. Noch in derselben Nacht, nachdem Iwanow dank mehrerer Gläser Wodka endlich eingeschlafen war, liebten sie und Ansky sich. Sie taten das in Anskys Wohnung, und hätte ihnen jemand dabei zugeschaut, wäre er überzeugt gewesen, dass sie vögelten, als hätten sie nur noch wenige Stunden zu leben. Tatsächlich vögelte Nadja Jureniewa, wie ein Großteil der Moskowiterinnen es im Jahr 1936 tat, und Boris Ansky vögelte, als wäre er plötzlich, schon bar jeder Hoffnung, seiner einzigen und wahren Liebe begegnet. Keiner der beiden konnte oder wollte an den Tod denken, aber beide bewegten oder verknäulten oder unterhielten sich, als stünden sie am Rand des Abgrunds.
Im Morgengrauen schliefen sie ein, und als Ansky kurz nach Mittag aufwachte, war Nadja Jureniewa fort. Das Erste, was Ansky empfand, war Verzweiflung, dann Angst, und nachdem er sich angezogen hatte, lief er zu Iwanows Wohnung, um von ihm einen Hinweis zu bekommen, der ihm helfen konnte, das Mädchen zu finden. Er traf Iwanow beim Briefeschreiben. Ich muss diese Sache klären, sagte er, ich muss dieses Knäuel entwirren, nur so kann ich mich retten. Ansky fragte ihn, welches Knäuel er meine. Die verdammten Science-Fiction-Romane, schrie Iwanow, so laut er konnte. Der Schrei zerriss die Luft wie eine Pranke, keine Pranke, die Ansky oder Iwanows wirklichen Feinde verletzt hätte, eher ähnelte sie einer Pranke, die nach der Ausholbewegung im Raum hing wie ein Heliumballon, eine mit Bewusstsein ausgestattete Pranke, ein Pranken-Tier, das sich fragte, was zum Teufel es in dieser einigermaßen unaufgeräumten Wohnung suchte, wer der Alte am Tisch war, wer der neben ihm stehende junge Mann mit dem verwilderten Haar, bevor sie als leere Hülle zu Boden fiel, einmal mehr zurück ins Nichts.
»Mein Gott, was für ein Schrei!«, sagte Iwanow.
Dann sprachen sie über die kleine Nadja, Nadescha, Nadjuschka, Nadjuschkina, und Iwanow wollte wissen, bevor er die Information ausspuckte, ob sie miteinander geschlafen hatten. Dann wollte er wissen, wie lang sie es miteinander getrieben hatten. Und dann, ob Nadjuschka erfahren war oder nicht. Und dann, welche Stellungen. Und da Ansky alle seine Fragen rückhaltlos beantwortete, verlegte sich Iwanow auf seine sentimentale Seite. Verdammte Jugend, sagte er. Gottverdammte Jugend. Diese kleine Sau. Da schau sich einer die zwei Schweinheiligen an. Ach, die Liebe. Und die sentimentale Seite, die Seite, die er nur sehen, nicht berühren konnte, rief ihm in Erinnerung, dass er nackt war, nicht hier am Tisch, im Gegenteil, da saß er in seinem roten Schlafrock, einem Schlafrock oder, richtiger, Hausrock mit gesticktem Kürzel der Kommunistischen Partei Russlands am Revers, um den Hals einen Seidenschal, das Geschenk eines mehr oder weniger schwulen französischen Literaten, den er auf einem Kongress kennengelernt, aber nie gelesen hatte, vielmehr nackt im übertragenen Sinne, nackt an allen anderen Fronten, an der politischen, der literarischen und der wirtschaftlichen, und diese Einsicht warf ihn zurück in seine Melancholie.
»Nadja Jureniewa ist, glaube ich, eine Studentin oder angehende Dichterin und hasst mich wie die Pest. Kennengelernt habe ich sie auf Gorkis Begräbnis. Sie und zwei andere Schläger haben mich von dort vertrieben. Sie ist kein schlechter Mensch. Die andern auch nicht. Sicher sind sie gute Kommunisten, herzensgute Leute, tadellose Sowjets. Glaub mir: Ich kann sie verstehen.«
Iwanow winkte Ansky zu sich heran.
»Wäre es nach ihnen gegangen«, flüsterte er ihm ins Ohr, »die Dreckskerle hätten mich auf der Stelle abgeknallt und dann meine Leiche nebenan ins offene Massengrab geworfen.«
Iwanows Atem stank nach Wodka und Kloake, ein saurer, klebriger Geruch nach Verfaultem, der an verlassene Häuser an Sümpfen erinnerte, an Dämmerung um vier Uhr nachmittags, an Dunst, der aus den kranken Gräsern steigt und nach und nach die dunklen Fenster einhüllt. Ein Horrorfilm, dachte Ansky. Wo alles stillsteht.
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