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wie von der Tsetsefliege gestochen im Büro mit dem Kopf auf der Schreibunterlage im Sitzen ein.
Alles Gründe, die Bubis veranlassten, ihr lieber eine Stelle im Hamburger Stadtarchiv zu besorgen, wo Frau Gottlieb sich mit Büchern und Akten würde herumschlagen müssen, kurzum: Mit Papieren, einer Materie, mit der sie, wie Bubis annahm, besser vertraut war. Allerdings behielt Frau Gottlieb ihr abwechselnd erratisches, dann wieder vorbildlich vernünftiges Verhalten bei, nur war man im Archiv extravagantem Verhalten gegenüber nachsichtiger. Und sie besuchte weiterhin Herrn Bubis und sparte sich die Zeit dafür von ihrer Mittagspause ab, als könnte ihre Anwesenheit von irgendwelchem Nutzen sein. Bis Bubis die Lust an der Politik und den kommunalen Angelegenheiten verlor und beschloss, seine Aktivitäten auf das zu konzentrieren, was ihn eigentlich zur Rückkehr nach Deutschland bewogen hatte: Die Wiedereröffnung des Verlags.
Wenn man ihn fragte, weshalb er zurückgekehrt sei, zitierte er oft Tacitus: Wer hätte auch - abgesehen von den Gefahren des schrecklichen und unbekannten Meeres - Asien oder Afrika oder Italien verlassen und Germanien aufsuchen wollen, landschaftlich ohne Reiz, rau im Klima, trostlos für den Bebauer wie für den Beschauer, es müsste denn seine Heimat sein? Die ihn das sagen hörten, nickten oder lächelten und sagten später zueinander: Bubis ist einer von uns. Bubis hat uns nicht vergessen. Bubis trägt uns nichts nach. Einige klopften ihm auf die Schulter und verstanden nichts. Andere machten ein betrübtes Gesicht und sagten, wie viel Wahrheit dieser Satz doch birgt. Tacitus war ein großer Mann, und groß auch, nach anderen Maßstäben, gewiss, unser guter Bubis.
Richtig ist, dass Bubis, als er den Lateiner zitierte, das Geschriebene ganz wörtlich nahm. Die Überfahrt nach England hatte ihm immer Angst gemacht. Bubis wurde auf Schiffen seekrank, er musste sich übergeben und zeigte sich außerstande, die Kabine zu verlassen, so dass, wenn Tacitus von einem schrecklichen und unbekannten Meer sprach, auch wenn er dabei ein anderes Meer, Ost- oder Nordsee nämlich, im Sinn hatte, Bubis stets an die Kanalüberquerung dachte und wie verheerend diese auf seinen revoltierenden Magen und seine Gesundheit im Allgemeinen einwirkte. Ebenso dachte Bubis, wenn Tacitus davon sprach, Italien zu verlassen, an die Vereinigten Staaten, speziell an New York, von wo ihn mehrere nicht zu verachtende Angebote erreicht hatten, in der Verlagsindustrie von »Big Apple« zu arbeiten, und wenn Tacitus Asien und Afrika erwähnte, ging Bubis der heraufziehende Staat Israel durch den Kopf, wo er, da war er sich sicher, eine Menge würde tun können, auf verlegerischem Gebiet natürlich, abgesehen davon, dass dort mittlerweile viele alte Freunde von ihm lebten, die er gern wiedergesehen hätte.
Dennoch hatte er Germanien, trostlos für den Bebauer wie für den Beschauer gewählt. Warum? Sicher nicht, weil es sein Vaterland war, denn obwohl er sich als Deutscher fühlte, verabscheute Jacob Bubis Vaterländer - in seinen Augen eine der Ursachen für den Tod von über fünfzig Millionen Menschen -, sondern weil sein Verlag oder sein Verlagskonzept in Deutschland zu Hause war - ein deutscher Verlag mit Sitz in Hamburg, dessen Netze sich in Form von Buchbestellungen über die alteingesessenen Buchhandlungen in ganz Deutschland erstreckten, wo Bubis einige der alten Buchhändler persönlich kannte und mit ihnen, wenn er auf Geschäftsreise ging, in einer Ecke ihres Ladens zusammensaß, Tee oder Kaffee trank, unablässig über die schlechten Zeiten klagte, über das Desinteresse der Menschen an Büchern jammerte, über Vertreter und Papierhersteller schimpfte, über die Zukunft eines Landes lamentierte, das nicht las, mit einem Wort, eine tolle Zeit verbrachte, während der Kekse geknabbert und kleine Stücke Kuchen gegessen wurden, bis Herr Bubis sich schließlich erhob, dem alten Buchhändler aus meinetwegen Iserlohn die Hand drückte und dann nach Bochum fuhr, um den alten Bochumer Buchhändler zu besuchen, der Bücher mit dem Verlagsemblem von Bubis, erschienen 1927 oder 1930, wie Reliquien, verkäufliche Reliquien allerdings, aufbewahrte, obwohl sie nach dem Gesetz, dem Schwarzwälder Gesetz, versteht sich, spätestens 1935 hätten verbrannt werden müssen, die der alte Buchhändler aber versteckt hatte, einfach aus Verbundenheit, was Bubis verstand (und sonst kaum jemand, der Autor des Buches eingeschlossen), und
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