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2666

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Titel: 2666 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roberto Bolaño
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sich sogar den Luxus eines Ritardandos, und dann ähnelte die Maschine von Frau Dorothea einem Herzen, einem riesigen, inmitten von Nebel und Chaos pochenden Herzen. Aber diese Momente waren selten. Frau Dorothea liebte die Geschwindigkeit, und in der Regel eilte ihr Tippen dem aller anderen voraus, als bahnte sie einen Weg in stockfinsterem Wald, sagte Ingeborg, stockfinster, stockfinster ...
    Bifurcaria bifurcata gefiel Herrn Bubis nicht, ja er las den Roman nicht einmal zu Ende, obwohl er ihn natürlich veröffentlichen wollte, weil er dachte, dem Idioten Lothar Junge würde er vielleicht gefallen.
    Bevor er ihn jedoch in den Druck gab, bat er die Baroness, ihn zu lesen und ihm ihre ehrliche Meinung zu sagen. Zwei Tage später sagte die Baroness, sie sei über dem Buch eingeschlafen und nicht über Seite vier hinausgekommen, was Herrn Bubis nicht erschreckte, zumal er keine allzu hohe Meinung vom literarischen Urteil seiner schönen Frau besaß. Kurz nachdem er ihm den Vertrag für Bifurcaria bifurcata geschickt hatte, erhielt er einen Brief von Archimboldi, in dem dieser sich mit dem Vorschuss, den Herr Bubis ihm zahlen wollte, absolut nicht einverstanden zeigte. Während des Essens allein in einem Restaurant mit Blick auf die Elbmündung zerbrach er sich eine Stunde lang den Kopf, wie er auf Archimboldis Brief antworten sollte. Seine erste Reaktion beim Lesen war Verärgerung. Dann reizte ihn der Brief zum Lachen. Am Ende wurde er traurig, woran der Fluss seinen Anteil hatte, der um diese Stunde die Farbe von altem Gold, Blattgold, annahm, und alles schien zu zerbröckeln, der Fluss, die Boote, die Hügel, die Wäldchen, und sich Stück für Stück in verschiedene Zeiten und verschiedene Räume zu verabschieden.
    Nichts bleibt, murmelte Bubis. Nichts ist lange bei einem. In seinem Brief schrieb ihm Archimboldi, er erwarte einen Vorschuss in mindestens der gleichen Höhe wie für Flüsse Europas. Genau betrachtet hat er recht, dachte Herr Bubis: Dass mich ein Roman langweilt, heißt nicht, dass er schlecht ist, heißt nur, dass ich ihn nicht werde verkaufen können und er kostbaren Platz in meinem Lager belegen wird. Am folgenden Tag schickte er Archimboldi einen Geldbetrag, der etwas höher ausfiel als der, den er ihm für Flüsse Europas gewährt hatte.
    Acht Monate nach ihrem ersten Aufenthalt in Kempten kehrten Ingeborg und Archimboldi zurück, aber diesmal kam ihnen der Ort nicht mehr so schön vor wie damals, weshalb sie ihn nach zwei Tagen, beide in sehr nervöser Verfassung, auf einem Karren verließen, der sie in ein Dorf in den Bergen brachte.
    Das Dorf hatte weniger als zwanzig Einwohner und lag nah an der österreichischen Grenze. Sie mieteten sich dort ein Zimmer bei einem Bauern, der eine Milchwirtschaft besaß und allein lebte, weil er im Krieg seine beiden Söhne verloren hatte, den einen in Russland, den anderen in Ungarn, und seine Frau gestorben war, vor Kummer, wie er sagte, obwohl im Dorf behauptet wurde, der Bauer habe sie in eine Schlucht gestoßen.
    Der Bauer hieß Fritz Leube und schien gern Gäste zu haben, obwohl er, als er das erste Mal Ingeborg Blut husten sah, stark beunruhigt war, weil er dachte, Tuberkulose sei eine leicht ansteckende Krankheit. Jedenfalls sahen sie sich nicht allzu oft. Abends, wenn er mit den Kühen zurückkam, kochte Leube einen riesigen Topf Suppe, der für mehrere Tage reichte und von dem er und seine beiden Gäste aßen. Wenn sie Hunger hatten, gab es in der Vorratskammer und in der Küche jede Menge Eingemachtes und verschiedene Käse, wovon man sich nach Herzenslust bedienen konnte. Das Brot, große runde Laibe, zwei bis drei Kilo schwer, kaufte man bei einer der Frauen im Dorf, oder er selbst brachte welches mit, wenn er durch ein anderes Dorf kam oder nach Kempten hinunterging.
    Manchmal entkorkte der Bauer eine Flasche Schnaps und saß bis spätnachts mit Ingeborg und Archimboldi zusammen, fragte sie nach der Großstadt aus (für ihn war jede Stadt mit mehr als dreißigtausend Einwohnern eine Großstadt) und runzelte über die oft bösartigen Antworten die Stirn, die er gewöhnlich von Ingeborg bekam. Am Ende dieser Abende drückte Leube den Korken in die Flasche, räumte den Tisch ab und sagte, bevor er sich schlafen legte, das Leben auf dem Land sei doch mit nichts zu vergleichen. Als wenn sie etwas geahnt hätten, nutzten Ingeborg und Archimboldi damals jede Gelegenheit, miteinander zu schlafen. Sie taten es in dem dunklen Zimmer, das sie bei Leube

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