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beherrschte Frauen, Sklavenfrauen, die Wand an Wand mit den Ehefrauen der Sklavenhalter lebten, schnurrbärtigen Matronen, die in breitem Dialekt sprachen und ihre Höhlen nur verließen, um Fisch und Gemüse zu kaufen, Cromagnon-Frauen, mit Neandertalern verheiratet, dazu Sklavinnen, in Oxford oder in Schweizer Internaten erzogen, an Bettpfosten gefesselt, in Erwartung des SCHATTENS.
Jedenfalls kam die Baroness in dieser Nacht nicht ins Hotel zurück, und der Ingenieur betrank sich still und leise in der Bar des Danieli und lief nicht zur Polizei, teils aus Angst, sich lächerlich zu machen, teils weil er ahnte, dass seine deutsche Geliebte zu jenen Köpfen gehörte, die immer bekommen, was sie sich in selbigen setzen, ohne um irgendetwas zu bitten oder zu fragen. Und in dieser Nacht gab es keinen nächtlichen Schatten, obwohl die Baroness Fragen stellte, nicht viele, und bereitwillig die beantwortete, die Archimboldi ihr zu stellen geruhte.
Sie sprachen über seine Gärtnerarbeit, eine sichere Arbeit, die er entweder im Auftrag der Stadtverwaltung oder für Privatpersonen (oder Rechtsanwälte) übernahm, die innerhalb der Mauern ihrer Paläste teilweise phantastische Gärten besaßen. Dann schliefen sie wieder miteinander. Dann sprachen sie darüber, wie kalt es war, was Archimboldi durch Decken bannte, in die er sie wickelte. Dann küssten sie sich lange, und die Baroness wollte ihn nicht fragen, wie lange er nicht mehr mit einer Frau geschlafen hatte. Dann sprachen sie über einige amerikanische Schriftsteller, die Bubis verlegte und die regelmäßig nach Venedig kamen und von denen Archimboldi keinen kannte oder gelesen hatte. Und dann sprachen sie vom verschwundenen Vetter der Baroness, dem unglückseligen Hugo Halder, und davon, dass Archimboldi doch noch seine Familie gefunden hatte.
Und als die Baroness gerade fragen wollte, wo er seine Familie gefunden habe, unter welchen Umständen und wie, stand Archimboldi aus dem Bett auf und sagte: Hör mal. Und die Baroness versuchte zu hören, hörte aber nichts, nur Stille, eine völlige Stille. Daraufhin sagte Archimboldi: Darum geht es, um Stille, hörst du sie? Und die Baroness war drauf und dran zu sagen, Stille könne man nicht hören, nur Töne könne man hören, aber das kam ihr engstirnig vor, und so sagte sie nichts. Und Archimboldi trat nackt, wie er war, ans Fenster, öffnete es und streckte den halben Körper nach draußen, als wollte er sich in den Kanal stürzen, was aber nicht seine Absicht war. Und als er den Oberkörper wieder zurückzog, sagte er zur Baroness, sie solle kommen und selber sehen. Und die Baroness erhob sich, so nackt wie er, trat ans Fenster und sah, wie es auf Venedig schneite.
Der letzte Besuch, den Archimboldi seinem Verlag abstattete, diente dazu, gemeinsam mit der Lektorin die Druckfahnen von Erbschaft durchzugehen und rund hundert Seiten an das ursprüngliche Manuskript anzuhängen. Es war das letzte Mal, dass er Bubis sah, der wenige Jahre später starb, vorher aber noch vier weitere Romane von Archimboldi veröffentlichte, und es war auch das letzte Mal, dass er die Baroness sah, zumindest in Hamburg.
In jener Zeit steckte Bubis gerade mitten in den großen und oft genug müßigen Diskussionen, die die Schriftsteller der BRD und der DDR miteinander führten, und in seinem Büro gingen Intellektuelle ein und aus, trafen Briefe und Telegramme ein, und zur Abwechslung kamen nachts hektische Anrufe, die im Allgemeinen zu nichts führten. Im Verlag herrschte jetzt fieberhafte Geschäftigkeit. Ab und zu herrschte auch Funkstille, die Lektorin kochte Kaffee für sich und Archimboldi und Tee für eine neue Mitarbeiterin, die sich um die graphische Gestaltung der Bücher kümmerte, denn mittlerweile war der Verlag und mit ihm die Zahl der Angestellten gewachsen, und manchmal saß am Nachbartisch ein Schweizer Lektor, ein Bursche, den niemand so genau kannte, von dem man nur wusste, dass er in Hamburg wohnte, und die Baroness kam aus ihrem Büro, und ebenso die Pressechefin und manchmal auch die Sekretärin, und man unterhielt sich über dieses und jenes, über den letzten Film, den sie gesehen hatten, oder über den Schauspieler Dirk Bogarde, und dann schaute in dem großen Saal, in dem die Korrektorinnen arbeiteten, noch die Buchhalterin vorbei, und selbst Marianne Gottlieb schneite mit einem Lächeln herein, und wenn das Gelächter sehr laut wurde, erschien sogar Bubis persönlich, in der Hand seine Tasse Tee, und man sprach
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