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2666

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Titel: 2666 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roberto Bolaño
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Wirklichkeit hat er nur einen Schatten gesehen, oftmals nur seinen eigenen Schatten, der jeden Abend nach Hause kommt, um zu verhindern, dass der Schriftsteller krepiert oder sich am Türbalken erhängt. Aber er schwört, er habe einen deutschen Schriftsteller gesehen, und in dieser Überzeugung bemisst sich sein persönliches Glück, sein Rang, sein Taumel, seine Festtagsstimmung. Der nächste Morgen bringt einen schönen Tag. Die Sonne strahlt, aber brennt nicht. Man kann seelenruhig das Haus verlassen, dabei seinen Schatten hinter sich herziehen, in einem Park haltmachen und ein paar Seiten Valéry lesen. Und so in alle Ewigkeit.«
    »Ich verstehe kein einziges Wort«, sagte Norton.
    »Ich habe auch nur Unsinn geredet«, sagte Amalfitano.
    Später riefen sie in den restlichen Hotels und Motels an, und in keinem logierte Archimboldi. Einige Stunden lang dachten sie, dass Amalfitano wohl recht hatte und Almendros Fährte die Ausgeburt einer überhitzten Phantasie war und Archimboldis Reise nach Mexiko nur in den Gehirnwindungen von El Cerdo existierte. Den restlichen Tag verbrachten sie lesend und trinkend, und keiner der drei konnte sich aufraffen, das Hotel zu verlassen.
    An diesem Abend erhielt Norton, die auf dem Computer des Hotels ihre elektronische Post abfragte, eine Mail von Morini. In seinem Brief sprach Morini vom Wetter, als hätte er nichts Besseres zu erzählen, vom Regen, der ab acht Uhr abends schräg auf Turin niedergegangen war und sich nicht vor ein Uhr früh gelegt hatte, und wünschte Norton von Herzen ein besseres Wetter im Norden Mexikos, wo es, wie er glaubte, nie regnete und lediglich nachts kalt wurde, und auch das nur in der Wüste. Noch am selben Abend ging Norton, nachdem sie einige Mails beantwortet hatte (nicht die von Morini), hinauf in ihr Zimmer, kämmte sich, putzte sich die Zähne, gönnte ihrem Gesicht etwas Feuchtigkeitscreme, saß eine Weile auf der Bettkante, die Füße am Boden, dachte nach und ging dann hinaus auf den Gang und klopfte an der Tür von Pelletier und dann an der Tür von Espinoza und führte sie, ohne ein Wort zu sagen, in ihr Zimmer, wo sie mit beiden bis fünf Uhr früh Liebe machte, um welche Zeit die Kritiker auf Nortons Geheiß in ihre jeweiligen Zimmer zurückkehrten, wo sie bald darauf in einen tiefen Schlaf fielen, der Norton verwehrt blieb, die ihre Laken ein wenig in Ordnung brachte und dann das Licht löschte, aber kein Auge zumachte.
    Sie dachte an Morini oder sah ihn vielmehr im Rollstuhl am Fenster seiner Turiner Wohnung sitzen, einer Wohnung, die sie nicht kannte, sah ihn die Straße und die Fassaden der umliegenden Häuser betrachten und in den unaufhörlich fallenden Regen starren. Die gegenüberliegenden Gebäude waren grau. Die Straße war dunkel und breit, eine Hauptstraße, obwohl kein einziges Auto vorbeikam, mit einigen verkümmerten Bäumchen alle zwanzig Meter, ein schlechter Scherz des Bürgermeisters oder Stadtbaudirektors, hätte man meinen können. Der Himmel war eine Decke, über der eine Decke lag, die eine noch dickere und feuchtere Decke bedeckte. Das Fenster, durch das Morini hinausschaute, war groß, fast ein Balkonfenster, eher länglich als breit, jedenfalls sehr hoch und so sauber, dass man hätte meinen können, das Glas, an dem die Regentropfen herabrannen, bestünde nicht aus Glas, sondern aus purem Kristall. Die Fensterrahmen waren aus Holz und weiß gestrichen. Im Zimmer brannte das Licht. Das Parkett glänzte, die Bücherregale wirkten sorgfältig geordnet, an den Wänden hingen einige wenige Gemälde, die einen beneidenswert guten Geschmack verrieten. Teppiche gab es keine, und die Möbel, ein schwarzes Ledersofa und zwei weiße Ledersessel, ließen dem Rollstuhl reichlich Bewegungsfreiheit. Hinter der halb geschlossenen Flügeltür öffnete sich ein dunkler Flur.
    Und was gab es zu Morini zu sagen? Seine Haltung im Rollstuhl drückte eine gewisse Verlorenheit aus, als hätte die Betrachtung des nächtlichen Regens und der schlafenden Nachbarschaft alle seine Erwartungen erfüllt. Mal stützte er beide Arme auf den Stuhl, mal stützte er den Kopf in eine Hand und den Ellenbogen auf die Armlehne. Seine Beine, wehrlos wie die Beine eines sterbenden Jungen, steckten in vielleicht etwas zu weiten Jeans. Er trug ein weißes Hemd mit offenem Kragen und am linken Handgelenk eine Uhr, deren Lederarmband ihm zu groß war, aber nicht so groß, dass er sie hätte verlieren können. Er trug keine Straßenschuhe, sondern uralte

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