27 - Im Lande des Mahdi I
bis das ganze Niltal alarmiert ist.“
„So muß etwas ganz Außergewöhnliches geschehen sein!“
„Etwas Ungeheuerliches, ein Sklavenraub, wie er seit Menschengedenken nicht vorgekommen ist. Wenn Schwarze überfallen werden, so ist das etwas Gewöhnliches; beim Raub von Nubiern und Nubierinnen drückt man noch ein Auge zu; wenn aber Araber, welche noch dazu rechtgläubige Moslemin sind, in die Sklaverei geschleppt werden, so ist das eine Sünde gegen den Koran, welcher über alle Grenzen geht.“
„Wo hat man so etwas gewagt?“
„Hast du von dem Bir es Serir gehört, welcher im Westen von Es Safih liegt?“
„Ja. Dieser Brunnen befindet sich südöstlich vom Dschebel Modjaf, einen vollen Hedschihn-Ritt vom Wadi Melk entfernt. Er gehört, wenn ich mich nicht irre, den Fessarah-Arabern.“
„Du bist gut unterrichtet. Die Abteilung der Fessarah, welche ihre Herden an diesem Brunnen tränkt, feierte ein Fest. Alle Männer zogen nach dem Dschebel Modjaf, um dort eine großartige Fantasia auszuführen; die Frauen blieben daheim. Als die Männer am andern Tag zurückkehrten, lagen die Kinder und alten Weiber erschlagen da; die jungen Frauen und die Mädchen aber hatte man entführt. Die Herden waren zerstreut; es gab über vierzig Leichen am Platz.“
„Das ist ja schrecklich! Die Mädchen und Frauen der Fessarah sind wegen ihrer Schönheit berühmt. Hat man denn keine Spuren gefunden?“
„Nein. Am Morgen war ein Sturm erwacht, der alle Fährten der Wüste und der Steppe verweht hat.“
„Wann ist die Tat geschehen?“
„Heute vor zwanzig Tagen. Du weißt, wie groß die Entfernung ist, und wirst dich nicht wundern, zu erfahren, daß wir erst vor drei Tagen die Nachricht erhielten.“
„O, es wundert mich, daß es so schnell gegangen ist.“
„Wohin glaubst du, daß die Täter sich gewendet haben?“
„Weder nach Westen noch nach Süden, denn dort würden sie die Geraubten nicht verkaufen können. Ich meine, es ist nur eine einzige Richtung denkbar, nämlich diejenige nach dem roten Meer, um die Sklavinnen nach Ägypten und der Türkei zu bringen.“
„Ganz genau so dachte auch der Raïs Effendina. Aber da sind nun wieder mehrere Wege denkbar.“
„Welche?“
„In der Nähe des Wadi Melk nach der Bajuda-Wüste und in die Gegend von Berber, und von da aus auf möglichst gerader Route nach Suakin. Der zweite Weg würde sein durch das Wadi Melk und das Wadi el Gab nach Dongola und quer durch die nubische Wüste bis in die Gegend von Ras Rauai am roten Meer.“
Es war ein Blick des Erstaunens, den der Lieutenant auf mich warf, als er sagte:
„Effendi, der Raïs Effendina kennt dich genau; er hatte auch gerade diese beiden Gedanken und sagte, daß du gewiß seiner Ansicht sein werdest.“
„Das freut mich. Was aber hat meine Ansicht mit dieser Angelegenheit zu tun?“
„Sehr viel, mehr als du denkst. Die beiden Wege müssen verlegt werden, aber ganz im stillen, so daß kein Mensch etwas davon erfährt und es den Frauenräubern verraten kann. Der Raïs Effendina hat sich also in Khartum Soldaten geben lassen und bringt dieselben auf seinem Schiff nach der Gegend von Berber, um mit ihnen die Straße nach Suakin zu verlegen. Mich aber sendet er mit der ursprünglichen Besatzung des Schiffes hierher, um den andern Weg zu bewachen.“
„Das wären also vierzig Mann. Wo befinden sie sich?“
„Draußen in der Wüste, weil niemand sie sehen soll. Wir haben Kamele requiriert, für dich und mich zwei echte Hedschihn, um große Strecken abreiten zu können, für die andern und für das Wasser und den Proviant gewöhnliche Tiere.“
„Warum auch für mich ein Hedschihn?“
„Das errätst du nicht? Kennst du denn die hohe Meinung, welche der Raïs Effendina von dir hat, nicht? Er glaubt, dein Rat könnte mir nützlich sein, und da er mit ziemlicher Sicherheit annehmen konnte, daß du jetzt in Korosko seist, befahl er mir, hierher zu reiten und dich zu bitten, dich uns anzuschließen. Wirst du diese Bitte erfüllen?“
Meine Lage war eine eigentümliche. Ich befand mich in Beziehung auf die Reisekosten in Verlegenheit und konnte nicht nach Kairo umkehren. Von dem Emir konnte ich Hilfe erwarten; ich hatte ihm überhaupt versprochen, ihn in Khartum aufzusuchen, und durfte ihm die Erfüllung des Wunsches, welchen er jetzt durch den Lieutenant aussprechen ließ, nicht versagen. Übrigens mußte ich auch wegen meines dem Führer Maabdah gegebenen Versprechens nach Khartum gehen, und endlich sagte
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