27 - Im Lande des Mahdi I
gewaltigen Natur gegenüber. Auch mich überkam ein Gefühl, als ob die Wüste sich hebe und der Himmel sich senke und ich zwischen beiden zerquetscht, zermalmt werden sollte. Da ich kein Leben sah, mußte ich es hören – ich begann zu pfeifen, wie furchtsame Schulknaben zu pfeifen pflegen, wenn sie sich im Dunkeln grauen. Und doch war es so hell, so licht um mich.
Mein Kamel spitzte die Ohren und verdoppelte seine Schnelligkeit. Die Wirkung, welche das Pfeifen auf die Kamele ausübt, ist wirklich erstaunlich. Mag das schwerbeladene Schiff der Wüste noch so ermüdet sein, sobald sein Führer die eigens dazu konstruierte Pfeife an die Lippen setzt, kommt es wie neue Kraft über das abgetriebene Tier. Auch ein frisches, also nicht ermüdetes Kamel nimmt das Pfeifen für eine Aufforderung zu größerer Schnelligkeit.
Während der beiden letzten Tage hatte ich meine Begleiter schonen müssen; heute brauchte ich diese Rücksicht nicht zu nehmen. Ich wollte sehen, welche Schnelligkeit mein grauer Schnelläufer entwickeln könne; darum trieb ich ihn durch Liebkosungen, Zurufe und Pfeifen an – ich flog nur so dahin. Der beste arabische Renner hätte nicht Schritt halten können. So ging es über eine Stunde lang, ohne daß das Tier Schweiß oder Ermüdung zeigte oder durch Schnauben kund gab, daß es ihm an Atem mangele. Das Tier hatte seine Freude an diesem Dauerlauf, denn als ich es zügelte, mußte ich Gewalt anwenden, um ihm Einhalt zu tun.
Stunde um Stunde verging. Zuweilen kam ich quer durch ein Chor, wo ein einsamer, blattloser Sidr-Strauch, eine Mimosenart, stand, ein trauriger Rest der spärlichen Vegetation, welche sich während der Regenzeit in so einem Chor entwickelt. Es wurde Mittag und Nachmittag, ohne daß ich eine Kamelspur zu finden vermochte. Die Sonne senkte sich tiefer und tiefer, ich befand mich sicher in gleicher Breite mit dem Nildorf Tinareh und hielt nun an. Weiter südlich hatte ich die Sklavenjäger, wenn sie überhaupt den nördlichen Weg einschlugen, nicht zu suchen. Ich stieg also ab, um meinem braven Tier eine Stunde der Ruhe zu gönnen; es erhielt auch einige Becher Wasser aus dem Schlauch und eine Handvoll Datteln.
Als die Sonne verschwunden war, stieg ich wieder auf, um zurückzukehren. Das war ein Ritt! So ganz allein, wirklich mutterseelenallein! Und doch nicht allein. Unten ist die Öde, der Tod; droben aber glänzt das Leben; da leuchten die Sterne und erzählen mit flammenden Worten von dem, der ewig war, ewig ist, ewig bleibt und den Menschen mit liebender Vaterhand selbst durch das Grauen der Wüste leitet. Die Gedanken des Menschen in einer solchen sternenhellen Wüstennacht, wer wollte sie nachdenken oder gar beschreiben!
Natürlich ging die Rückkehr nicht so schnell wie der Ritt am Tage. Ich hatte sorgfältig darauf zu achten, daß ich nicht aus der Richtung kam. Die Sterne leuchteten hell genug, um mich, wenigstens von Zeit zu Zeit, meine Fährte erkennen zu lassen. Dieselbe war sehr deutlich, weil mein Kamel während des Eillaufes den Sand tief aufgegriffen hatte. Das vortreffliche Tier schien selbst jetzt nicht ermüdet zu sein, und um mich dafür dankbar zu erweisen, pfiff ich ihm alle mir geläufigen Melodien vor, nur dann eine kurze Pause machend, wenn mir die Lippen weh taten.
Als der erste Tagesschein im Osten erwachte, fühlte ich mich zwar körperlich ermüdet, aber geistig so frisch wie gestern, da ich vom Brunnen aufgebrochen war. Ich hatte den Mittag als die späteste Zeit meiner Rückkehr bezeichnet und brauchte mich nicht zu beeilen. Darum ließ ich mein Tier in gemächlichem Schritt gehen und freute mich der Genauigkeit, mit welcher ich während der Nacht auf meiner eigenen Spur geritten war, sie zog sich auch jetzt noch sichtbar gerade gen Norden.
Es mochte gegen neun Uhr sein, als ich die Hügelkette vor mir erblickte. Bald erkannte ich auch die drei Höhen, hinter denen der verborgene Brunnen lag. Wie mochte es dort stehen? War etwas geschehen oder nicht? Ich trieb mein Tier unwillkürlich zu größerer Eile an. Bald darauf aber hielt ich es so kräftig an, daß es stehenblieb. Es war etwas geschehen, ganz gewiß! Ich sah nämlich von links her eine breite Fährte kommen, welche hinter den drei Hügeln verschwand und dann rechts von denselben wieder erschien, um da gegen Nordost weiter zu gehen. Es war also jemand da gewesen und wieder fortgeritten. Dieser jemand aber mußte aus mehreren Reitern bestehen, wie ich aus der Breite der Fährte
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