27 - Im Lande des Mahdi I
Tochter des Scheiks der Fessarah, befand.
Es galt, den Kreis der Sklavenjäger zu durchbrechen, und ich fand bald eine Lücke, welche mir hinlänglich Raum gewährte. Diese Leute mußten sich hier für sehr sicher halten, denn sie schliefen wirklich wie die Ratten. Ich kam glücklich durch und gelangte bis an das betreffende Zelt. Eigentlich hätte doch wenigstens vor jedem Zelt ein Wächter sein müssen, aber auch das war nicht der Fall.
Die Matte, welche die Tür bildete, war herabgelassen; ich hob sie ein wenig empor und horchte hinein. Ich hörte atmen, und zwar schien es, als ob sich eine beträchtliche Anzahl Schläferinnen hier befanden. Ein Geräusch sagte mir, daß sich eine derselben umwendete; bald hörte ich es wieder, und dieses Mal war es von einem Seufzer begleitet. Ich erriet, daß die Scheiktochter infolge der erhaltenen Schläge nicht schlafen konnte und sich vor Schmerzen von einer Seite auf die andere warf.
„Marba!“ sagte ich zwar leise, doch so, daß sie es hören mußte. Da niemand antwortete, so wiederholte ich das Wort mehrere Male, bis ich eine unterdrückte Stimme fragen hörte:
„Wer ruft? Wer ist da?“
„Jemand, der euch die Freiheit bringt. Komme näher, ich muß mit dir reden.“
„Die Freiheit? O Allah, Allah! Wer bist du?“
„Sei ohne Sorge! Ich gehöre nicht zu den Sklavenjägern; ich bin ein Fremder und habe mich in das Lager geschlichen, um dir zu sagen, daß ihr wenig später als mit Tagesanbruch frei sein werdet.“
„Das ist Lüge! Hier in diesem Wadi verkehren nur unsere Peiniger, und kein Mensch wird es wagen, sich mitten unter diese Leute zu schleichen.“
„Ich spreche die Wahrheit; du wirst es erfahren.“
„Wenn ich dir glauben soll, so schwöre bei dem Barte des Propheten!“
„Das tue ich nicht, denn ich bin ein Christ und schwöre nicht.“
„Ein Christ! O Allah! Bist du etwa der fremde Effendi, der jenseits des Bir Murat ganz allein Malaf und seine Begleiter besiegt und ihnen ihre Gefangenen abgenommen hat?“
„Ja, der bin ich allerdings.“
„So glaube ich dir. Warte, ich komme, ich komme!“
Es entstand im Innern des Zeltes eine anhaltende Bewegung; es rauschte und knisterte da und dort; leise, ganz leise Worte wurden gewechselt: Marba weckte ihre Gefährtinnen.
„Es könnte zufällig jemand kommen und mich hier sehen. Im Zelt ist es für mich sicherer. Erlaubt, daß ich hineinkomme!“
Indem ich diese Worte sagte, kroch ich auch schon unter der Matte hinein und blieb hinter derselben sitzen.
„Um Allahs willen, tue das nicht!“ antwortete Marba. „Kein Mann darf das Zelt der Frauen betreten!“
„Dieses Gesetz erleidet im jetzigen Fall eine Ausnahme. Wenn ich entdeckt und ergriffen werde, kann ich euch nicht befreien.“
„Du hast recht, und da du ein Christ bist, so dürfen wir dir vertrauen. Sage uns nur vor allen Dingen, ob es wahr ist, daß du uns befreien willst!“
„Es ist wahr. Wir haben die Spur Ibn Asls gefunden und das Lager mit unseren Asakern eingeschlossen. Nun warten wir, bis der Tag anbricht und die Schläfer erwachen.“
„Hat mein Vater euch gesandt?“
„Nein. Wir kommen im Auftrag des Khedive, welcher den Sklavenhandel verboten hat. Aber du nanntest mich den fremden Effendi. Hat man in deiner Gegenwart von mir gesprochen?“
Sie war herbeigekommen; sie saß neben mir; ich hörte das, als ihre Antwort ganz nahe bei mir erklang:
„Man wußte nicht, daß ich es hörte. Es war gestern, als mehrere Männer in unser Lager kamen; der eine war ein Türke und der andere ein Fakir. Wir lagerten am Palmenwald des Bir Murat, und ich lehnte an dem Stamm einer Palme; da kamen sie, stellten sich in meiner Nähe auf und sprachen von dir.“
„Was sagten sie?“
„Daß ein Mann, welcher Raïs Effendina heißt, seinen Lieutenant zu dir gesandt hat, wozu, das konnte ich nicht verstehen, aber ich merkte, daß sich alle vor dir fürchteten. Die beiden Ankömmlinge erzählten einiges von dir und sprachen lauter Böses.“
„So wirst du mich wohl auch für einen bösen Menschen halten?“
„O nein, Effendi, denn wenn böse Menschen über einen andern bös reden, so ist er gewiß gut, und wenn sie sich gar vor ihm fürchten, so muß er doppelt gut sein.“
„Aber ich bin ein Christ. Darfst du einen Andersgläubigen gut nennen?“
„Warum nicht? Die Fessarah sind nicht so starre Mohammedaner, wie du denkst. Es sind schon einigemal Franken bei uns gewesen, welche Christen waren, und sie alle waren sehr kluge
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