277 - Xij
Teil meiner Geduld.«
Xij presste die Lippen aneinander und nickte. »Ich will mein Bestes tun, Syre.«
»Sprich mich nicht so an. Wir sind keine feinen Leute. Sag einfach Herr zu mir.« Duncayn lachte und streckte die Hand aus.
Axya war nahe daran, Xij anzuschubsen, denn er gaffte die Hand an, als wisse er nicht, was er mit ihr anfangen sollte. Schließlich kapierte er und schüttelte sie. »Freut mich, Herr.«
»Und jetzt verschwindet, ihr Beiden«, sagte Duncayn. »Nach dem langen Marsch müsst ihr todmüde sein.«
Er deutete zum Ende der Tafel. Dort hatte inzwischen ein kleiner Mann mit einem zerzausten Schopf und einem langen Bart vor einem riesigen aufgeschlagenen Buch Platz genommen. »Ich muss mich nun dem dritten Kapitel der Aufzeichnung meiner Lebenserinnerungen widmen - dem Kampf gegen die geflügelte Schlange.« Er räusperte sich und sagte: »Schreib auf, Howlboyne: Es war an einem nebligen Morgen vor der Küste von Eyland, als…«
***
Hinter der Tschörtsch ragten halbkugelförmige Zelte auf. Sie waren mit Widerhaken im Boden verankert und spannten sich um ein Gerüst aus fingerdicken Rohren aus leichtem Metall namens Alumium.
Die Bespannung war wasserdicht und grünbraun, sodass sie gut zur Farbe des Waldes passte.
Wie einige andere Dinge, die den Wohlstand der Loxlee-Bande begründeten, stammten die Zelte aus dem Labyrinth, das Dopee Skullsplitter als Zwölfjähriger entdeckt hatte: In einem Nebenraum der Tschörtsch war bei einem Beben der Boden abgesackt und hatte ihn in unbekannte Tiefen gerissen.
Sein Bruder Roobur, damals vierzehn, hatte sich in das Loch abgeseilt, um ihn zu retten. Er war auf subterrane Räumlichkeiten aus uralter Zeit gestoßen und hatte viele in Folie und luftdichte Fässer verpackte Dinge geborgen: präeiszeitlichen Gin, Hämmer, Zangen, Sägen, Schraubenzieher, Salzstreuer, Manschettenknöpfe, Gürtelschnallen, Hemden mit der Aufschrift THE POPE SMOKES DOPE - und nicht brennbare Zelte.
Roobur hatte aber auch Dinge zutage gefördert, deren Zweck so undurchsichtig war, dass niemand wusste, wozu sie dienten. Der junge Räuberhauptmann Duncayn hatte ihn mit einem vollen Tornister nach Peddahedd gesandt, um einen Retrologen zu befragen. Bei dem war er aber nie angekommen: Jemand hatte ihn mit einem jungen Seemann in einer Hafenkneipe würfeln und später am Abend über die Gangway eines Handelsseglers gehen sehen, der vom Kontinent kam. Man hatte eine Weile über sein Verschwinden spekuliert und war schließlich zu dem Schluss gekommen, dass er sich seinen Traum erfüllt hatte: Zur See hatte Roobur schon immer fahren wollen. Er war nie zurückgekehrt.
Inzwischen wusste man dank Howlboyne, dass in der Nähe der Tschörtsch nicht nur Zelte hergestellt worden waren, sondern auch Rüstungen: Alte Wandinschriften sprachen nämlich von einem Rüstungsbetrieb. Ausgegraben hatte man noch keine. Das verschüttete Labyrinth, in dem Dopee versunken war, war ein unterirdisches Teilstück des Betriebes gewesen.
All dies erzählte Axya Xij, als sie im Licht eines Kerzenstummels unter einer Zeltkuppel auf den flauschigen Fellen der Taratzen ruhten, die sie eigenhändig erlegt hatte, um zu beweisen, dass sie eine vollwertige Loxlee war. »Taratzen abstechen, das kannst du«, hatte ihr Vater gesagt, als sie mit dem ersten Fell zurückgekehrt war. »Aber kannst du mir auch Enkel schenken, damit unser Name auch in Zukunft erhalten bleibt?«
Axya hatte den dezenten Hinweis verstanden. Andere Räuberhauptleute hatten Söhne, manche sogar fünf oder sechs. Ihr Vater hatte nicht mal einen Neffen, wenn man von dem leicht verblödeten Dopee und dem verschollenen Roobur absah. Nun hing alles an Axya, denn im Land der Skothen gab es teils unschöne Gesetze: Ein Räuberhauptmann, der keinen Enkel hatte, wurde nicht alt. Sobald seine Tochter nicht mehr gebären konnte, musste er dem ersten Herausforderer, der ihn zu Boden zwang, das Baronatsschwert aushändigen und sich verdrücken.
Nun, bis zu dem Tag, an dem Axya nicht mehr gebären konnte, waren es noch gut zwanzig Winter, aber natürlich dachte sie oft daran, dass im Grunde sie bestimmte, wie oft Duncayn die Sonne noch sah. An und für sich wäre es für eine hübsche und starke Frau wie sie nicht schwer gewesen, einen Mann zu finden, der bereit war, Vater ihres Kindes zu werden, aber…
Axya seufzte. Leider waren Männer, die ihr wirklich gefielen, eher dünn gesät. Schon bei der Vorstellung, sich mit einem übel riechenden,
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