277 - Xij
und mein Vater waren Freunde. Als ich mich auf die Suche machte, dachte ich, wenn ich ihn finde, hilft er mir gegen meinen Oheim und meine tückische Mutter.« Sie seufzte. »Das klingt wohl ziemlich naiv, aber… irgendwie ist er jetzt der einzige Mensch, der mir nahe steht.«
»Weißt du, was aus dem Kram geworden ist, den er mit nach Peddahedd genommen hat?«
»Ich weiß nur hiervon.« Xij griff in eine der zahlreichen Taschen ihres am Boden liegenden Beinkleides und zeigte Axya ein merkwürdig geformtes Ding aus schwarzem Metall: ein Griff. Ein Rohr. Der Griff lag so gut in Xijs Hand, dass Axya vermutete, dass es eine Waffe war.
Sie schluckte. »Ist es eine Waffe?«
»Ja. Roobur hatte zwei davon. Diese hier hat er meinem Vater geschenkt. Ich weiß, dass er sie in dem Labyrinth gefunden hat. Er hat niemandem davon erzählt, auch deinem Vater nicht.«
Axya nickte. Roobur war ein untypischer Räuber gewesen. Er hätte zu den Kristianern gepasst. Vermutlich war er nur Räuber geworden, um auf den närrischen Dopee aufzupassen.
»Mein Vater hat die Waffe ›Nadler‹ genannt, weil sie Nadeln spuckt. Die Wirkung ist unterschiedlich. Manche Nadeln töten, andere rauben dir für Stunden die Besinnung. Andere machen dich so krank, wie du es nur deinem schlimmsten Feind wünschst: Sie erzeugen Übelkeit, Erbrechen, Durchfall und grässlich juckenden Ausschlag.«
Xij bewegte ein Hebelchen. Ein Stück Eisen rutschte aus dem Griff. »Das ist ein Magazin.« Sie zog eine Schutzkappe ab. Das Magazin war in Fächer unterteilt. Ein Fach enthielt silberne Nadeln. Die anderen waren leer. »Du siehst, es sind nicht mehr viele.« Sie runzelte die Stirn. »Einer der Kerle, die mir ans Leder wollten, ist entkommen. Er heißt Thodrich und hat viele Möglichkeiten, Söldner anzuwerben. Er kann erst nach Hause zurück, wenn er meinen Kopf hat. Wenn ich überleben will, muss ich bald neue Nadeln auftreiben.«
»Glaubst du, du findest sie hier bei uns?«
»Ich könnte zumindest danach suchen…« Xij spitzte die Lippen. Nun sah sie eher wie ein Mädchen aus. »In dem Magazin sind einzig noch Nadeln mit tödlichem Gift. Ich setze sie nur sehr ungern ein.« Ihr Blick wurde härter. »Aber wenn mir jemand nach dem Leben trachtet, geht es nicht anders.«
Axya nickte. Sie zog den zweiten Stiefel an, stand auf und deutete den Hang hinauf. »Nicht alles, was hier auf zwei Beinen geht, gehorcht meinem Vater. Seit dem Ende des Ewigen Eises wagen sich immer mehr Anhänger des Propheten ins Hochland…«
»Vielleicht finden wir im Labyrinth mehr von diesen Waffen«, sagte Xij. »Ich habe weniger Skrupel als Roobur. Ich hätte nichts dagegen, sie deinem Vater zu zeigen und zu erklären. Ich glaube, ihr würdet euch nicht gern aus euren Jagdgründen vertreiben lassen, oder?«
»Absolut nicht.« Axya nickte. »Aber wie ich meinen Vater kenne, lässt er niemals einen hergelaufenen Fremden wie dich ins Labyrinth hinuntersteigen und herumkramen.« Sie schmunzelte. »Vergiss nicht, er hält dich für einen Mann.«
Xij nickte. »Gibt es eine Möglichkeit, ins Labyrinth hinabzusteigen, ohne dass er es erfährt?«
»Ich soll meinen Vater hintergehen?«, fragte Axya entrüstet. Dann fiel ihr ein, dass sie ihn schon oft hintergangen hatte: Seit sie geschlechtsreif war, hatte sie tausend Geheimnisse vor ihm.
Aber das, was Xij plante, war etwas anderes. Oder nicht? Natürlich waren die Anhänger des Bärtigen Propheten eine Gefahr. In Glasgowistan lebten schon tausend von ihnen. Mit giftigen Nadeln spuckenden Waffen konnte man sie sich vielleicht vom Hals halten.
Aber… wie weit konnte sie Xij trauen?
Warum sollte sie ihr misstrauen? Noch vor einer halben Stunde war sie das Objekt ihrer Begierde gewesen. Sollten die freundschaftlichen Gefühle, die sie für den Jungen Xij empfunden hatte, für das Mädchen nicht mehr gelten?
Mit zweierlei Maß wollte Axya nicht messen. Mit dem Jungen Xij wäre sie sicher ins Labyrinth hinabgestiegen… um sich dort mit ihm zu verlustieren. »Lass mich drüber schlafen«, murmelte sie. »Und wenn ich dir helfe… müssen wir wahnsinnig vorsichtig sein!«
***
Der nächste Tag war grau und kühl.
Der Himmel hatte sich zugezogen. Auf der Lichtung war es so neblig, dass man keine fünf Meter weit sah.
Als Xij den Kunststoff-Reißverschluss öffnete, lichtete sich die Nebelwand. Unter dem Dach der offenen Küche umringten einige Gestalten ein Feuer.
Duncayn von Loxlee saß auf einem Hocker am Tisch und scherzte mit
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