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28 Tage lang (German Edition)

28 Tage lang (German Edition)

Titel: 28 Tage lang (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Safier
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kein einziges Mal mehr um. So konnten wir drei Stationen weiter unbehelligt in der Górnośląska-Straße aussteigen.
    Wir gingen zu einem fünfstöckigen Gebäude. Dort sollten wir bei Synowiec klingeln, und dann – so war es jedenfalls geplant – würde uns ein Verbindungsmann des polnischen Widerstands öffnen.
    Ich klingelte. Niemand machte auf. Wir warteten. Ich klingelte noch mal. Wieder keine Reaktion.
    Ich wurde nervös. Wenn wir am helllichten Tag noch etwas länger vor der Tür blieben, würden wir Verdacht erregen. Weggehen konnten wir aber auch nicht, wo sollten wir denn schon hin? Als Juden in Warschau?
    Ein alter Mann im Unterhemd stand in seiner Wohnung auf der gegenüberliegenden Seite am offenen Fenster und beobachtete uns misstrauisch: Was lungerten zwei schäbig gekleidete junge Menschen da so herum? Waren das etwa Einbrecher? Oder etwas noch Schlimmeres?
    «Wir gehen einmal um den Block», schlug ich Amos vor.
    «Gute Idee», nickte er.
    Wir wollten gerade los, da kam ein kleiner, rundlicher Mann mit Schiebermütze auf uns zu und rief fröhlich: «Da ist ja mein Neffe mit seiner neuen Frau!»
    Das beruhigte den alten Mann am Fenster, gähnend verzog er sich in seine Wohnung.
    «Du stehst anscheinend auf arg dünne Frauen, Neffe», spielte der Mann mit der Schiebermütze die Scharade noch weiter, und Amos ging auf sie ein: «Onkelchen, ich steh auf anmutige Frauen.»
    Anmutig.
    Warum freute mich jedes Lob von Amos? Wollte ich die Antwort darauf überhaupt wissen?
    «Kommt mit, ich mach euch einen Tee», erklärte «Onkelchen», und ich roch bei ihm eine Fahne, die darauf schließen ließ, dass er normalerweise anderen Getränken den Vorzug gab, und das schon am frühen Morgen. Vermutlich war er auch deswegen zu spät gekommen, anstatt uns wie abgesprochen in der Wohnung zu empfangen.
    Wir betraten das Haus, stiegen die geputzten Treppen hoch – ich hatte schon ganz vergessen, wie heimelig ganz normale Mietshäuser wirkten –, und Onkelchen führte uns in eine kleine Zweizimmerwohnung, in der es kaum Möbel gab, die mir aber dennoch luxuriös vorkam, da in dem Schlafzimmer ein echtes Bett stand.
    «Der Vermieter denkt», wurde Onkelchen sachlich und nahm seine Schiebermütze ab, «dass ich die Wohnung für meinen Neffen und seine Frau angemietet habe, die frisch vom Land in die Stadt gekommen sind, um hier ihr Glück zu versuchen.»
    Er warf uns zwei goldene Eheringe hin.
    «Ihr seid ab jetzt Robert und Gabriela Szalach. Morgen bring ich euch die entsprechenden Papiere.»
    Amos streifte sich seinen Ring sofort über den Finger, hielt ihn mir entgegen und lachte: «Gratuliere zur Hochzeit.»
    Ich lächelte süßsauer.
    «Außerdem», fügte er hinzu, «gratuliere ich dir auch noch dazu, dass du einen so hübschen Mann abbekommen hast.»
    Ich verzog das Gesicht: «Idiot.»
    «Aber meine Frau ist die Hübscheste.»
    Alles jetzt, nur nicht rot werden.
    «Sogar wunderhübsch.»
    «Idiot», sagte ich noch mal und wurde rot.
    «Du wiederholst dich», lachte Amos, nahm meine Hand und streifte mir sanft den Ring über meinen Finger.
    Das war das Nächste an einer Hochzeit, dachte ich, was ich jemals erleben würde.
    «Können wir uns jetzt mal dem Wesentlichen zuwenden?», fragte Onkelchen gereizt.
    «Gerne», antwortete ich.
    «Wenn es denn sein muss», grinste Amos.
    «Ihr verlasst die Wohnung nicht. Keine einzige Sekunde. Wir werden euch wissen lassen, wann ihr euch mit den Anführern des polnischen Widerstands treffen könnt.»
    «Wir müssen so schnell wie möglich mit ihnen sprechen», erwiderte Amos; er war auf einmal wieder ernst, ganz der drängelnde, fordernde Kämpfer. Unglaublich, wie schnell er umschalten konnte. Was er wohl für ein Mensch geworden wäre, wenn ich tatsächlich mit einer Zeitmaschine in die Vergangenheit geflogen wäre und Hitler umgebracht hätte? Dann hätte er bestimmt gar keine ernste Seite besessen, sondern wäre einfach nur ein charmanter Hallodri, dem die Frauen massenhaft zu Füßen lagen. Zu diesen Frauen hätte ich mich allerdings gewiss nicht gelegt, wenn ich bei meiner Rückkehr noch mit rauchender Pistole wieder aus der Zeitmaschine gestiegen wäre.
    «Wann ihr unsere Anführer trefft», gab Onkelchen scharf zurück, «ist deren Sache, nicht eure. Seid froh, wenn sie euch überhaupt empfangen.»
    Dieser Mann machte uns gleich mal klar, wie unwichtig wir Juden für die polnischen Widerstandskämpfer waren.
    Ich zog meinen linken Schuh und meine linke Socke

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