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28 Tage lang (German Edition)

28 Tage lang (German Edition)

Titel: 28 Tage lang (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Safier
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aus, nahm die Depesche und überreichte sie Onkelchen: «Ein Brief von Mordechai Anielewicz.»
    «Der müffelt», gab Onkelchen zurück.
    Anstatt zu lachen und eine Bemerkung zu machen, nach dem Motto: «Hab ich doch gesagt, dass der nach Käse riecht», ging Amos den Polen an: «Du sollst den nicht kommentieren, sondern überbringen.»
    «Werd nicht frech, Jude!», entgegnete Onkelchen, setzte sich seine Schiebermütze wieder auf und ging raus.
    Als die Tür zuschlug, seufzte Amos: «Und das sind also unsere Verbündeten.»
    Die ganze nächste halbe Stunde schimpfte er darüber, wie wenig der polnische Widerstand uns half, welch schlechte Waffen er uns gab und dass er von Judenhassern durchsetzt war, die sich insgeheim oder sogar lautstark darüber freuten, dass die Deutschen, auch wenn sie ihre Feinde waren und das geliebte Heimatland Polen besetzten, ihnen wenigstens das Judengeschmeiß vom Leibe schafften.
    Ich sagte dazu nichts, denn obwohl ich jetzt in Sicherheit war, kroch in mir langsam wieder die Angst vor dem fetten SS -Mann hoch. Schließlich wollte ich nur noch eins: die Stelle, an der mich das Schwein geküsst hatte, waschen. Reinigen. Regelrecht abschrubben.
    Ich ließ Amos mitten in seiner Ausführung darüber, dass wir Juden nur uns selber vertrauen könnten, stehen, eilte ins Bad und drehte dort die Hähne der Badewanne voll auf. Sie hatte fließendes Wasser. Fließendes heißes Wasser!
    Es gab vielleicht doch einen Gott!
    Ich rief Amos durch die verschlossene Tür hindurch zu: «Die nächsten Stunden bitte nicht stören!»

47
    Ich lag in der heißen Wanne, bis ich völlig verschrumpelt war, und wusch den ganzen Schmutz von mir ab, so gut es ging. Vermutlich würde mich der fette SS -Mann in meinen Träumen verfolgen, aber in der Hitze der Badewanne gelang es mir, nach einer Weile nicht mehr an ihn zu denken. Auch nicht an das Ghetto oder an unsere Aufgabe oder an sonst irgendetwas. Ich blendete die ganze Welt um mich herum aus. Es gibt nichts Wunderbareres, als an rein gar nichts zu denken.
    Immer wieder ließ ich Wasser aus der Wanne ab- und neues heißes hineinlaufen. Am liebsten hätte ich sie nie wieder verlassen, sie zu meinem neuen Zuhause gemacht, doch da zog ein wunderbarer Duft unter der Tür hindurch ins Bad. Es roch nach gebratenem Speck. Und noch etwas lag in der Luft, waren das etwa …?
    Ja, es waren Bratkartoffeln und Bohnen!
    Gerüche aus einer anderen Zeit.
    Meine erschöpfte Seele wäre zwar immer noch am liebsten in der Wanne liegen geblieben, mein Magen jedoch war da anderer Ansicht und grummelte, dass die Seele sich mal nicht so wichtig nehmen solle. So stieg ich aus meiner neuen Heimat heraus und versprach meiner Seele, bald zurückzukehren. Ich trocknete meine verschrumpelte Haut ab und ärgerte mich darüber, dass ich wieder in meine schmuddeligen, stinkigen Klamotten schlüpfen musste, obwohl ich selbst das erste Mal seit langer, langer Zeit gut duftete. Worüber man sich so ärgern konnte, wenn es einem ein kleines bisschen besser ging.
    Angezogen, aber barfuß – die Socken erinnerten mich zu sehr an die Ereignisse in der Wachstube – ging ich aus dem Badezimmer, folgte dem Geruch in die Küche und konnte es kaum fassen: Amos hatte dort ein Festmahl aufgetischt mit Speck, Bohnen, Bratkartoffeln, Brot und Spiegeleiern. Für einen Moment befürchtete ich, er hätte den ganzen Proviant aufgebraucht, den Onkelchen für uns in der Wohnung deponiert hatte. Amos konnte meine Gedanken erraten und sagte: «Keine Angst, Schrumpeline, es ist noch genug da.»
     
    Ich grinste, setzte mich an den Tisch und sagte: «Du bist ein guter Ehemann.»
    «Und das ist erst der Anfang unserer Ehe», lachte er.
    Ich aß nicht nur, bis ich keinen Hunger mehr hatte, ich aß, bis mir der Bauch weh tat. Und dann noch ein bisschen mehr.
    Amos rülpste. Ich rülpste noch lauter.
    Das ließ er nicht auf sich sitzen und rülpste wie ein Löwe. Doch ich war eine Großmeisterin im Rülpsen.
    Als wir zu Ende gerülpst hatten, erklärte Amos halb grinsend, aber auch halb melancholisch: «Manchmal kann das Leben auch schön sein.»
    Ein Gedanke, den ich so gut wie vergessen hatte.
    «Eigentlich sollte das nicht nur manchmal so sein», erwiderte ich und sah dabei aus dem Fenster heraus in die Nachmittagssonne. Die schien offenbar wirklich gerne über dem polnischen Teil der Stadt.
    «Komm, lass uns abwaschen», schlug Amos vor, wild entschlossen, keine trüben Gedanken aufkommen zu lassen.
    Ich nickte,

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