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28 Tage lang (German Edition)

28 Tage lang (German Edition)

Titel: 28 Tage lang (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Safier
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Speisekammer ins Licht getreten wäre.
    Amos raunte mir leise zu: «Mira, konzentriere dich … bitte.»
    Er sagte das nicht barsch. Trotz des Ernstes der Situation besaß er Verständnis dafür, dass ich benommen war. Er lächelte aufmunternd, wollte mir damit Kraft spenden. Und es gelang ihm auch. Ich blendete die fremd wirkende Welt aus, die mir einst so vertraut gewesen war, und konzentrierte mich auf die Soldaten, die uns begleiteten. Das dicke Schwein war nicht dabei, sondern zwei andere SS -Leute, die eher gelangweilt wirkten. Dass ein Jude aus dem Trupp ausbrechen würde, war für sie unvorstellbar. Die Chancen, als Flüchtling in Warschau zu überleben, gingen gegen null. Und wer, wie die Leute hier im Trupp, beim Flughafen arbeitete, hatte es für einen jüdischen Arbeiter dank der Schmuggelmöglichkeiten vergleichsweise gut und daher keinen Grund zu fliehen.
    Wir gingen eine Weile mit dem Trupp auf einer Hauptstraße, und dort sah ich von rechts eine Straßenbahn nahen. Eine, von der ich wusste – ich kannte mich ja gut in der Stadt aus –, dass sie in die Richtung fuhr, in der die Geheimwohnung lag, die unser neues Zuhause werden sollte. Ich deutete leicht mit dem Kinn zu der Straßenbahn, und Amos verstand sofort: Wenn wir da reinspringen würden, könnten wir verschwinden.
    Selbst wenn wir uns so dumm anstellten, dass die Soldaten uns bemerkten, würden sie uns nicht folgen können. Zum einen, weil eine Straßenbahn schneller war als zwei plumpe Angehörige der Herrenrasse, und zum anderen, weil sie dann die übrigen Arbeiter alleine lassen müssten. Gefährlich würde es nur werden, wenn die Soldaten auf uns schießen würden.
    Die Straßenbahn kam näher. Wir streiften unsere Binden mit dem Judenstern unauffällig ab, ließen sie zu Boden fallen und lösten uns vom Trupp.
    Die SS -Leute merkten nichts.
    Ich nickte Amos zu, gab ihm damit das Signal zum Rennen, und wir liefen auf die Bahn zu. Dabei blickte ich mich nicht um. Falls die Soldaten schießen sollten, könnte ich es sowieso nicht verhindern, aber ich würde durch das Umdrehen eine vielleicht wertvolle halbe Sekunde verlieren, und spätestens seit meiner Begegnung in der Wachstube vor nicht mal zwanzig Minuten – war das wirklich nicht länger her? – wusste ich, wie wertvoll Sekunden, selbst halbe, sein konnten.
    Ich sprang auf die hintere Plattform der Bahn, Amos folgte mir. Ich war tatsächlich schneller gewesen als er. Sicher hatte er sich mehrmals umgedreht, anders war das nicht zu erklären.
    Wir entfernten uns mit der Straßenbahn, und ich sah, wie der eine Soldat sein Gewehr von der Schulter nahm und anlegte, doch der andere hielt ihn zurück. Er wollte nicht das Risiko eingehen, polnische Zivilsten zu treffen. Die beiden hatten einen Trupp Arbeiter zum Flughafen zu bringen, sollten sich doch andere mit den entflohenen Juden rumschlagen, die würden eh nicht weit kommen.
    Amos und ich gingen in die Bahn hinein. Sie war so gut wie leer; die paar Polen, die hier saßen, nahmen keine Notiz von uns. Wir waren zwar schäbig angezogen, aber das waren viele polnische Proleten auch. Um nicht aufzufallen, setzte ich mich hin. Amos plumpste neben mir auf die Holzbank und sagte anerkennend: «Das war schlau von dir.»
    Und dieses Lob tat mir so gut.

46
    Eine Straßenbahn hat ja eigentlich kaum Geschwindigkeit, aber wenn man lange Zeit nur zu Fuß unterwegs gewesen war, fühlt sich eine Fahrt in ihr unglaublich schnell, geradezu unnatürlich an. So wie ich in jenem Moment mussten sich wohl die Fahrgäste des ersten Zugs, wann und wo immer der auch gefahren war, vorgekommen sein. Nur hatten die bei der Jungfernfahrt keine Angst haben müssen, von Soldaten verhaftet zu werden.
    Nach ein paar Minuten konnte ich mich ein klein wenig entspannen, die Angst, erwischt zu werden, abstreifen und auch fast nicht mehr an das fette Schwein denken. Da hielt die Bahn zum wiederholten Mal, und zwei SS -Soldaten stiegen ein. Amos und mir war bewusst, dass jede noch so kleine Angstreaktion uns verraten könnte, doch wir wussten nicht ganz genau, ob das auch dem jeweils anderen klar war, und so raunten wir beide: «Ganz ruhig, alles gut.» Da wir es exakt gleichzeitig aussprachen, mussten wir lachen.
    In diesem Moment blickten die Soldaten herüber und sahen in uns ein zwar ziemlich schäbiges, aber fröhlich wirkendes polnisches Paar. Sie gingen in den vorderen Teil der Bahn, in dem nur Deutsche sitzen durften, dort setzten sie sich hin und drehten sich

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