Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
28 Tage lang (German Edition)

28 Tage lang (German Edition)

Titel: 28 Tage lang (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Safier
Vom Netzwerk:
Försterhaus,
    da schauet jeden Morgen,
    so frisch und frei von Sorgen,
    des Försters Töchterlein heraus …
    Die Schweine sangen ein Marschlied.
    Sie wollten uns singend vernichten.
    Lore, Lore, Lore, Lore,
    schön sind die Mädchen
    von siebzehn, achtzehn Jahr …
    So selbstsicher, wie die SS -Männer marschierten, ohne dass auch nur ein Einziger von ihnen sein Gewehr im Anschlag hielt, rechneten sie nicht mit Widerstand. Sie waren es gewohnt, dass Juden sich wehrlos zu den Gaskammern führen ließen. Daher hielten sie auch gar nicht erst nach einem Hinterhalt Ausschau.
    Wir alle warteten auf Mordechais Signal zum Feuern. Aber noch waren die Soldaten nicht nah genug.
    Der Förster und die Tochter, die schossen beide gut …
    Der Panzer rollte unter unserem Fenster.
    Der Förster schoss das Hirschlein, die Tochter traf das Bürschlein …
    Die Judenpolizisten gingen vorbei. Gedrückte Kreaturen.
    Tief in das junge Herz hinein …
    Jetzt marschierten die ersten Soldaten direkt unter uns. Amos wollte am liebsten auf sie schießen, aber Mordechai gab immer noch nicht den Befehl. Er ließ warten, bis genug Soldaten in der Reichweite unserer Waffen waren.
    Ta-ra-la-la, ta-ra-la-la, tief in das junge Herz hinein …
    Endlich gab unser Anführer das Signal, indem er eine Handgranate aus dem Fenster in die Menge warf.
    Lore, Lore …
    Als sie explodierte, schrien die Soldaten, und von den Dächern, aus den Fenstern und von den Balkonen regnete es Molotowcocktails, Granaten und Kugeln auf sie herab.
    Die Deutschen und ihre jüdischen Handlanger gerieten in Panik und verließen ihre Formation. Dabei stolperten die Herrenmenschen übereinander und versuchten Schutz in verlassenen Läden, in Hauseingängen oder hinter Müllbergen zu finden.
    Überall brachen Soldaten getroffen zusammen, andere rannten wie brennende Fackeln durch die Straßen, bis sie aufs Kopfsteinpflaster fielen und nicht wieder aufstanden. Ihre Schreie waren in dem Lärm der Explosionen kaum zu hören. Keiner von ihnen kam einem seiner Kameraden zu Hilfe. Kein Gedanke mehr an Gesang oder an Lore aus dem Försterhaus.
    Neben mir schoss Amos mit seiner Pistole. Es war seltsam, ihn so zu sehen. Erfüllt, geradezu glücklich, sich und seine Freunde zu rächen.
    Die ersten Deutschen erwiderten das Feuer. Kugeln schlugen hinter uns in der Wand ein.
    Ich duckte mich unter die Fensterbank.
    «Mira, schieß!», fauchte mich Amos an und warf seinerseits eine Handgranate in den auf der Straße tobenden Wahnsinn.
    Ich aber wollte nur schreien. Ich hatte Angst zu sterben. Und noch mehr, jemanden anders zu töten.
    «Mira!», drängelte Amos.
    Von unten stiegen Rauschschwaden empor.
    «Den Panzer! Ich habe den Panzer getroffen!», jubelte Esther.
    Ich kam wieder hoch und sah auf die Straße: Der Panzer stand in Flammen, und ein Soldat kroch blutüberströmt hinaus. Wo sein rechter Arm gewesen war, hatte er nur noch einen blutenden Stumpf. Er stürzte vom Panzer zu Boden. Der Rest der Besatzung folgte ihm nicht. Sie verbrannte in dem Gefährt.
    Bei dem Soldaten lag ein verblutender Judenpolizist, als ob die beiden im Sterben vereint wären. Doch der Polizist hatte keine Angst vor dem Tod, stattdessen schrie er mit letzter Kraft: «Ich sterbe durch jüdische Kugeln! Danke! Danke!»
    Er ging glücklich in den Tod, weil wir ihm in den letzten Momenten seines Lebens die Würde wiedergegeben hatten.
    «Mira!» Amos war nun regelrecht zornig.
    Ich konnte nicht schießen. Bis, ja, bis ich in dem Chaos neben dem brennenden Panzer das dicke Schwein aus der Wachstube erkannte. Ich erinnerte mich daran, wie er mich erniedrigt hatte, was er beinahe mit mir angestellt hätte. Was er anderen Mädchen angetan hatte. Ich richtete meine Pistole auf ihn. Meine Hand zitterte.
    Im Fenster neben mir schlugen die Kugeln eines Maschinengewehres ein. Es zersplitterte in Tausende Scherben. Dennoch duckte ich mich nicht weg, denn das fette Schwein aus der Wachstube legte mit seinem Gewehr an. Er wollte einen von den Kameraden erschießen, die die Molotowcocktails vom Dach warfen. Oder vielleicht sogar Ben Rothaar, der ebenfalls auf dem Dach lag. Ich dachte an Hannah, wie sie in ihrer Blutlache in der Speisekammer lag. Und schoss.
    Der SS -Mann brach zusammen.
    Das erste Mal in meinem Leben hatte ich jemanden willentlich erschossen, nicht aus Notwehr, sondern im Gefecht. Ich schoss weiter. Immer weiter. Wie im Rausch. Ohne den Hauch eines schlechten Gewissens. Mit jedem Treffer gab es einen

Weitere Kostenlose Bücher