28 Tage lang (German Edition)
lange sollte dieser Wahnsinn noch weitergehen? Es waren schon Hunderttausende ermordet worden. Sollte auch der letzte Jude sterben?
Von Tag zu Tag wurde meine Hoffnung geringer, dass wir es schaffen würden. Ich begann sogar selbst schon nervös zu husten, als ob ich bereits Asche von den Toten in den Lungen hätte.
Was Simon mir nach zweieinhalb Wochen des Versteckens berichtete, ließ mich jedoch zum ersten Mal seit langem wieder richtig aufleben: Der Kommandant der Judenpolizei Szeryński war lebensgefährlich verletzt worden … von Juden.
Ja, genau, von Juden.
Juden hatten sich gegen die Unterdrückung gewehrt.
Zum allerersten Mal.
Es gab keinen einzigen unter den Polizisten, der den Tod so sehr verdient hatte wie Józef Szeryński. Das Schwein war ein Jude, der schon lange vor dem Krieg zum Katholiken wurde und mit Juden nie etwas zu tun haben wollte. Natürlich interessierte die Nazis so etwas überhaupt nicht, sie warfen ihn ebenfalls ins Ghetto: Jude war für sie Jude, egal ob der sich für einen Katholiken hielt. Allerdings waren sie von Szeryńskis Organisationstalent und noch mehr von seinem persönlichen Hass auf uns – wo immer der auch herkam – so sehr beeindruckt, dass sie ihn zum Chef der Judenpolizei machten. Mit Ehrgeiz führte er jeden Befehl aus, den er bekam. Auch und gerade während der Aktion. Tag für Tag überzeugte er sich persönlich auf dem Umschlagplatz davon, dass genug Juden in die Züge kamen. Er saß in einer Rikscha, schlug mit seiner Peitsche leicht gelangweilt gegen seine Schuhe und betrachtete das ganze Treiben, als ob es eine lästige bürokratische Aufgabe sei, das eigene Volk zu vernichten.
Jetzt würde seine Rikscha leer sein!
«Es war ein Judenpolizist, der Szeryński angeschossen hat», erzählte Simon unsicher.
Es war mir nicht ganz klar, woher seine Unsicherheit stammte. War er stolz darauf, dass einer aus seinen Reihen den obersten Vorgesetzten angeschossen hatte und mochte es nicht zugeben? Vermutlich war er aber nur nervöser als ohnehin schon, weil man als Judenpolizist nun zu allem Überfluss auch noch Angst vor anderen Judenpolizisten haben musste.
«Der Attentäter klingelte heute Morgen an der Tür von Szeryński», erzählte Simon. «Erst hat die Haushälterin geöffnet, dann hat der Kerl gesagt, dass er einen Brief für Szeryński hat …»
‹Kerl› sagte Simon – das bedeutete wohl, dass er nicht stolz war, dass der Attentäter aus den Reihen der Polizisten stammte.
«Szeryński öffnete die Tür, der Kerl zückte eine Pistole. Sie klemmte. Dann versuchte er es noch mal und traf Szeryński in die Wange. Der Attentäter dachte wohl, er wäre tot, jedenfalls sprang er auf ein Motorrad und fuhr davon. Aber höchstwahrscheinlich hat er sein Ziel dennoch erreicht, Szeryński liegt im Sterben.»
Es war großartig, das zu hören.
Ich war aufgeregt. Aufgewühlt. Auf eine ganz neue, bisher nicht gekannte Art sogar glücklich.
Es war vielleicht nicht richtig, sich über einen Mordversuch zu freuen, aber ich tat es dennoch aus vollem Herzen. Nach all der Zeit des Leidens hatte jemand zurückgeschlagen!
«Weiß man, wer der Attentäter war?», wollte ich wissen. «Hat man ihn erwischt?»
«Weder noch.»
Ich freute mich noch mehr.
Simon missfiel das sichtlich: «Es ist einer von den Polizisten, die am Anfang der Aktion in den Untergrund gegangen sind …»
… und damit mehr Anstand bewiesen hatten als mein Bruder.
«Weiß man denn, zu welcher Gruppe er gehört?», fragte ich und hoffte so sehr, dass es sich um die Hashomer Hatzair – Amos’ Gruppe – handelte. Dann hätte ich zu dieser großartigen Tat irgendwie eine Verbindung gehabt. Ich hätte persönlich einen Juden gekannt, der sich gewehrt hatte. Einen von ihnen hätte ich sogar mal geküsst.
«Es ist die ŻOB gewesen», sagte Simon abfällig.
« ŻOB ?»
«Jüdische Kampforganisation.» Er spuckte die Worte fast aus. Plötzlich verstand ich: Simon hatte einen Pakt mit den Dämonen geschlossen, um sein Leben zu retten. Er hatte gedacht, dass er keine Angst haben musste, solange er ihnen gut diente und selbst genug Angst und Schrecken verbreitete. Doch jetzt wurden nicht nur die Dämonen immer unberechenbarer und schickten jene Diener, die nicht gut genug arbeiteten, in die Gaskammern. Es drohte auch noch Gefahr von den Opfern. Ein Jude hatte den Polizeikommandanten erschossen. Wie sicher war da ein normaler Polizist wie Simon?
« ŻOB ist der Zusammenschluss», erklärte Simon
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