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28 Tage lang (German Edition)

28 Tage lang (German Edition)

Titel: 28 Tage lang (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Safier
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lodernden Hass. Einen Hass, der sämtliches Mitgefühl für das Opfer auslöschte.

29
    Es dauerte zwei Wochen, bis die Flieger erneut kamen. Mein Herz hüpfte vor Freude beim Klang ihrer Motoren. Ich stand am Fenster und sah, wie der Himmel über Warschau rot erleuchtet war. Dabei hatte ich nicht das Gefühl, selber in Gefahr zu sein. Warum sollten die Russen auch das Ghetto bombardieren? Wir hatten doch die gleichen Feinde.
    Ich hoffte auf immer neue Bomben, auf Hunderte, Tausende, die Dämonen sollten brennen … da traf die erste Bombe das Ghetto. Erst konnte ich es nicht glauben, das konnte nicht sein, es durfte nicht sein, das waren doch unsere Verbündeten! Sicher handelte es sich um einen Irrtum, einen Irrläufer.
    Weitere Bomben trafen das Ghetto.
    Ich rannte zu den anderen, und wir sahen uns alle voller Panik an. Wo konnten wir Schutz suchen? Aus der Wohnung heraus durften wir nicht, niemand durfte wissen, dass wir überhaupt existierten.
    Hilflos nahm ich Hannah in die Arme und auch Mama, selbst wenn die nicht richtig mitbekam, worum es ging. Ruth kauerte sich in der anderen Ecke des Zimmers unter den Esstisch, als ob der irgendeinen Schutz vor einer Bombe bieten könnte. Das konnte er natürlich ebenso wenig wie unsere Umarmung.
    Nach wenigen langen Minuten entfernten sich die Flugzeuge wieder. Und mit ihnen die Hoffnung.
    Niemand in der Welt interessierte sich für das Schicksal der Juden. Wir wurden bombardiert, aber nicht die Gleise nach Treblinka.
    Tags darauf kam der Kessel. Der Kessel war unser Schicksal. Ihm konnten wir nicht entkommen.
    Am sechsten September, in der achten Woche der Aktion, kam Simon bereits um fünf Uhr morgens zu uns. Aber statt wie sonst die Vitrine vor unser Versteck zu schieben, war er völlig aufgelöst. Anfangs konnte er kein Wort rausbringen und es dauerte, bis er sich wenigstens so weit im Griff hatte, wirres Zeug zu stammeln: «Alle Juden, die noch im Ghetto sind, sollen sich bis sechs Uhr morgens auf der Straße versammeln, wer eine Marke hat, wird arbeiten, wer keine Marke hat, kommt in die Züge …»
    «Was für eine Marke?», frage ich.
    «Die Marken!», antwortete er, als ob er es mir bereits erklärt hätte und ich einfach nur zu begriffsstutzig wäre.
    «Was sind das für Marken?», fragte ich nach, und Simon begriff nun, dass ich bisher gar nichts verstanden hatte. «Es sind gelbe Karten mit einer Nummer darauf. Sie werden von den Werkstätten und den jüdischen Organisationen verteilt. Und die Leiter müssen entscheiden, wer von uns überlebt, die Leiter von den Hospitälern, von der Polizei, vom Judenrat …»
    Juden mussten entscheiden, wer von ihnen lebenswert war.
    Die Nazis ließen sich immer perversere Dinge einfallen.
    Und immer war es so, dass es für jeden noch ein klein wenig Hoffnung gab, er könnte zu den letzten der 450000 Juden gehören. Er könnte eine dieser Nummern ergattern, die das Leben bedeuteten, auch wenn der Kollege in den Tod gehen musste.
    Ohne dieses letzte Fünkchen Hoffnung hätte es gewiss einen Aufstand gegeben. Doch so nutzten alle Ghettobewohner die verbliebene Zeit, um bei ihren Vorgesetzen darum zu kämpfen, zu betteln, zu flehen, eine von den Marken zu bekommen.
    Die Dämonen wussten, wie man den Widerstand bricht, bevor er überhaupt entstand. Außer bei Menschen wie Amos.
    «Ich habe keine Marke bekommen», begann Simon zu weinen. «Fünfhundert haben sie für zweitausendfünfhundert Polizisten …»
    Ich stand unsicher vor meinem Bruder. Es wäre richtig gewesen, ihn in die Arme zu nehmen, auch wenn es keinen Trost gespendet hätte. Aber ich wollte nicht. Der treue Diener der Dämonen hatte Juden in die Lager geschickt, und jetzt wurde er selbst zum Tode verurteilt. Er hätte ihnen nie glauben dürfen. Niemand hätte das je tun dürfen.
    «Du versteckst dich mit uns», erklärte ich.
    Wie das gehen sollte, wusste ich allerdings nicht. In der Kammer war nicht genug Platz für uns alle, einer müsste sich woanders im Haus verstecken, und ich hatte keine Ahnung, wo genau.
    «Nein!», widersprach Simon.
    «Nein?», fragte ich erstaunt.
    «Sie haben neue Befehle rausgegeben: Wer gefunden wird, wird auf der Stelle erschossen.»
    Womöglich war das sogar besser als die Gaskammer. Dennoch zuckte ich innerlich zusammen bei dem Gedanken, so hingerichtet zu werden.
    «Ich werde mich melden», erklärte Simon, «und dann werden die Deutschen schon sehen, dass ich ein Polizist bin, jung und stark, und sie werden mich bestimmt auch

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