28 Tage lang (German Edition)
«der Jugendorganisationen von Dror, Akiba und Hashomer Hatzair.»
Hashomer Hatzair – Amos gehörte dazu!
«Diese Schweine», sagte Simon voller Wut und Angst, «werden noch unser aller Ende sein!»
«Was?» Ich konnte nicht fassen, dass er so dachte.
«Wenn die auch nur einen Deutschen töten, werden wir alle vernichtet.»
«Das werden wir doch jetzt schon.»
«Aber nicht alle.»
«Weißt du denn nicht, was die in Treblinka machen?»
«Doch, das weiß ich!» Seine Stimme bebte vor Wut. «Aber sie werden nicht alle töten, wenn wir die Deutschen nicht provozieren. Die Aktion wird nicht ewig dauern, und wir können sie überleben. Wir können zu den letzten fünfzigtausend Juden von Warschau gehören, die hier bis zum Kriegsende für sie arbeiten!»
Er hoffte das nicht nur, er glaubte daran. Nicht an Gott. Nicht an sich selber. Er glaubte an die Gnade der Dämonen. Was für einen Sinn hatte es, mit ihm darüber zu streiten? Ich beschloss, zu schweigen und mich still zu freuen, dass Amos für unser aller Ehre kämpfte. Nein, Freude war ein zu kleines Wort. Es erfüllte mich mit Stolz.
In der gleichen Nacht flogen das erste Mal russische Flugzeuge über Warschau und warfen Bomben auf die Stadt. Was für ein Tag!
28
Die nächsten Wochen in unserer stickigen dunklen Kammer waren erträglicher als zuvor: Zwar schmerzten Knie und Beine von Tag zu Tag mehr, aber ich hatte wieder Hoffnung: Den Alliierten konnten die Verbrechen der Deutschen an den Juden ja nicht verborgen geblieben sein. Sie würden, sie mussten uns zu Hilfe kommen, die Gleise nach Treblinka bombardieren, sodass niemand mehr ins Gas geschickt werden könnte.
Wenn Simon abends kam, fragte ich ihn sofort, was es Neues vom Widerstand gab. Zum Entsetzen meines Bruders wurde der immer aktiver. Mittlerweile steckte der ŻOB sogar leere Häuser in Brand, damit der Besitz von ermordeten Juden nicht in die Hände der Deutschen fiel. Ich freute mich darüber so sehr, dass Simon mich ärgerlich anblaffte: «Pass mal auf, dass die nicht euer Haus anzünden.»
Selbst diese Aussicht konnte mir meine Freude nicht nehmen. Ich malte mir aus, wie ich mich Amos’ Gruppe anschließen würde. Gemeinsam mit den anderen Kämpfern würde ich Attentate planen. Nicht nur auf Judenpolizisten. Auch auf SS -Leute. Ich würde mit einer Pistole auf Frankenstein zugehen und sagen: «Im Namen des jüdischen Volkes richte ich dich hin für die Ermordung unzähliger Kinder!» Für einen schönen langen Moment würde ich die Angst in Frankensteins Augen genießen. Dann würde ich den Abzug drücken und dem Schwein eine Kugel in den Schädel feuern. Die Deutschen sollten Angst bekommen. So viel wie wir. Sie sollten vor uns Juden noch mehr zittern als vor den Flugzeugen der Alliierten.
Ich stellte mir vor, wie ich zu der Zelle der Hashomer Hatzair zog und mir mit den anderen Widerständlern ein Matratzenlager teilte. Ich würde zu den Mutigsten von ihnen gehören. Ohne Angst vor Tod und Folter würde ich immer neue Taten gegen die Deutschen planen und durchführen. Gemeinsam mit Amos würde ich das Hauptquartier der Judenpolizei in Schutt und Asche legen, Molotowcocktails auf die Laster der Deutschen werfen und sogar hohe Offiziere exekutieren. Amos würde erkennen, was für ein Mensch ich war, seine Freundin für mich verlassen, und wir würden uns noch inniger küssen als damals auf dem Wochenmarkt. Viel, viel inniger.
Natürlich waren das alles ebensolche Spinnereien wie Hannahs Geschichten von Kapitän Karotte, der mit dem Schwert gegen den verrückten Balletttänzer kämpfte und ihm zurief: «Du Knacker gehst mir auf die Nuss.»
Zu der Widerstandsgruppe hätte ich Mama, Ruth und Hannah nie mitnehmen können, und selbstverständlich hatte ich Angst vor dem Tod und noch viel größere vor dem Folterkeller der Deutschen im Pawiak-Gefängnis. Im Leben hätte ich nicht die Kraft gehabt, der Qual zu widerstehen. Die Nazis würden nicht viele Schläge mit dem Rohrstock auf meine nackten Fußsohlen brauchen, bis ich sämtliche Geheimnisse des Widerstands preisgeben und meine Kameraden verraten würde. Ich war doch schon bei einem Schlag gegen meine Messerwunde fast ohnmächtig geworden.
Auch wäre ich nicht in der Lage, jemanden zu ermorden. Egal für welche Sache. Häuser hätte ich in Brand stecken können. Das schon. Aber jemanden zu erschießen, dafür besaß ich nicht die nötige Kaltblütigkeit. Oder nein, das hatte mit Kaltblütigkeit nichts zu tun. Man brauchte dafür
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