28 Tage lang (German Edition)
ohne Marke am Leben lassen, weil ich nützlich sein kann.»
Er glaubte immer noch an die Gnade der Dämonen.
Was für ein jämmerlicher Idiot.
Simon drückte seinen Rücken durch, atmete einmal tief ein und aus und ging aus der Wohnung. Ohne sich von uns zu verabschieden. Er ließ uns im Stich, und ich hielt ihn nicht davon ab, ich rief ihm noch nicht mal was zum Abschied hinterher. So wie er sich nicht mehr für uns interessierte, dachte ich auch nicht über sein weiteres Schicksal nach, sondern darüber, was jetzt aus uns werden sollte. Auf meine eigene Art ließ ich meinen Bruder also auch alleine.
Allerdings konnte ich nicht lange darüber nachdenken, woher wir nun Essen bekommen sollten, denn ich hörte die Stiefelschritte.
Soldaten stürmten das Treppenhaus, rissen die Türen zu den Wohnungen auf. Panisch scheuchte ich Hannah, Ruth und Mama in die Speisekammer.
«Und was ist mit dir?», fragte Hannah aus dem dunklen Loch heraus.
«Eine muss die Vitrine davorschieben.»
Hannah blickte mich entsetzt an.
«Ich finde schon ein anderes Versteck.»
«Wo?»
Ich hatte keine Ahnung und antwortete: «Ich werde was finden.» Ich wollte mich gerade an die Vitrine machen, da sagte Hannah: «Mira?»
«Was ist?», fragte ich.
Meine kleine Schwester ging auf mich zu und gab mir einen Kuss auf die Wange. Ich liebte sie so sehr.
Ein Stockwerk unter uns riefen die Soldaten irgendetwas auf Ukrainisch.
Hastig schob ich die Vitrine vor die Kammer und zischte Ruth zu: «Nicht husten. Um Himmels willen nicht husten.»
Ich rannte aus der Küche raus, fragte mich, wo ich mich verstecken sollte, und beschloss, auf den Dachboden zu rennen. Vielleicht würde ich auf das Dach klettern können.
Ich wollte gerade aus der Tür, da hörte ich, dass die Männer bereits unser Stockwerk erreicht hatten. Es gab keine Chance mehr, jetzt noch aufs Dach zu gelangen. Ich hatte auch keine Möglichkeit mehr, mich zu verstecken. Sie würden mich finden und töten.
Es sei denn, es sei denn …
Ich rannte in das Wohnzimmer, schnappte mir einen leeren Koffer, den die Familie aus Kraków zurückgelassen hatte, warf wahllos ein paar herumliegende Klamotten herein und machte den Koffer wieder zu. Ich hörte, wie die Wohnungstür mit Gewalt aufgestoßen wurde, die SS -Männer schrien ihre Befehle, deren Worte kein polnischer Jude verstehen konnte, deren Bedeutung aber schon.
Mit meinem Koffer rannte ich in den Flur und erreichte die Tür gerade, als die Männer mit gezogenen Pistolen eintraten. Es waren drei, alle blond, alle mit einem kantigen Kinn, alle vielleicht Anfang zwanzig. Für einen Moment waren sie erstaunt, mich zu sehen.
«Ich wollte mich gerade melden», log ich.
Die Ukrainer verstanden meine Worte nicht. Der Mann direkt vor mir richtete seine Pistole auf mich. Die anderen beiden taten es ihm nach. Als ob eine Kugel für eine Jüdin nicht reichen würde.
Ich deutete auf meinen Koffer und wiederholte, mit Schweiß auf der Stirn, langsam und ganz deutlich: «Ich wollte mich gerade melden.»
Die Ukrainer hielten die Pistolen weiter auf mich gerichtet. Ich schien sie nicht zu überzeugen. Sie würden mich gleich erschießen, wenn ich nicht irgendetwas unternahm. Doch ich wusste nicht, was das sein könnte, vor lauter Angst konnte ich keinen klaren Gedanken fassen.
Der Ukrainer vor mir krümmte den Finger am Abzug.
«Umschlagplatz!», rief ich nun panisch. «Umschlagplatz!»
Dieses Wort mussten sie doch verstehen!
Der Soldat nahm den Finger vom Abzug und senkte seine Pistole. Die anderen beiden taten es ihm nach. Sie hatten begriffen. Erst jetzt merkte ich, dass ich am ganzen Leib zitterte. Jetzt hoffte ich nur, dass Ruth nicht husten würde. Es blieb still. Danke, Ruth.
Die Soldaten bedeuteten mir zu folgen, und ich verließ mit ihnen die Wohnung. Ich war nun auf dem Weg in die Gaskammern. Aber Hannah, Mama und Ruth waren gerettet.
30
Es war ein wunderschöner Morgen.
Es war ein schrecklicher Morgen.
Zehntausende von Juden mussten im warmen Licht der Septembersonne auf der Miła-Straße zu den Toren schreiten, die die Deutschen aufgebaut hatten. Langsam, ganz langsam ging es voran, denn an den Toren standen die Nazis und die Besitzer der Werkstätten und entschieden anhand der Marken, wer in welche Richtung weitergehen durfte. Das eine Tor bedeutete den Tod, das andere das Leben.
Alle in diesem Menschenkessel waren paralysiert vor Angst. Auch die Juden mit den Marken. So weit kannten wir die Deutschen mittlerweile,
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