283 - Der Zorn der Königin
Ereignisse tanzten darin einen wilden Reigen. Im Augenblick war sie eigentlich gar nicht in Canduly Castle, sondern gefangen in einer ihrer Visionen.
Denk an etwas Bestimmtes! Denk an etwas Wichtiges! , forderte sie sich selbst im Geiste auf. Es funktionierte: Der jämmerliche Rest des roten Pulvers in ihrer Weste fiel ihr ein, eine Mischung aus wilder Malve und Cochenille. Das Einzige, was half, aus dieser Verwirrung wieder herauszufinden.
Einteilen wollte sie sich die kostbare Rücklage, doch der Bedarf ließ sich schlecht einschätzen. Die Anfälle suchten sie in unregelmäßigen Abständen heim. Verlässlich waren nur das darauf folgende Durcheinander in ihrem Kopf und die körperliche Erschöpfung. Um wieder zu Kräften zu kommen, brauchte sie im Moment mehr von diesem roten Pulver. Mehr als sie noch bei sich trug.
Vor ein paar Tagen hatte sie vergeblich versucht, das Zeug in einer Hafenstadt der schottischen Westküste zu besorgen: Cochenille war rar. Darüber hinaus war das Gift der getrockneten Schildläuse gefährlich. Eine Prise nach dem Aufwachen. Mehr ist nicht drin! Bei dem Gedanken daran hätte sie heulen mögen. Doch sie riss sich zusammen. Immerhin hatte sie es geschafft, sich wieder im Hier und Jetzt zu verankern.
Während sie verstohlene Blicke in die Runde vor dem Kamin warf, fielen ihr nach und nach die Namen zu den Gesichtern wieder ein. Wer sie waren und auch wie dieses Treffen im Kaminzimmer von Canduly Castle zustande gekommen war.
Ihr gegenüber saßen Matt und Aruula. Der blonde Mann aus der Vergangenheit und die schöne Barbarin waren Xij Hamlets neue Gefährten, mit denen sie seit einigen Monden unterwegs war. Obwohl die beiden ein Paar waren, hatte Matt eine Tochter mit einer anderen Frau. Die genauen Umstände kannte Hamlet nicht. Die Frau jedenfalls hieß Jenny und der Name der Tochter lautete Ann. Sie lebten gemeinsam mit einem bärtigen Barbaren an der Ostküste Irlands, in Corkaich.
Dort war Xij noch vor einer Woche mit Matt und Aruula gewesen. Dann waren sie in ihrem Amphibienpanzer nach Schottland aufgebrochen. Warum?
Xij überlegte. Ah ja: Matt hatte seinem Blutsbruder Rulfan versprochen, ihn über die Vorgänge in Corkaich zu informieren. Es waren gute Nachrichten, denn dort lebten die Versteinerten wieder und alles war in Ordnung. Die Dörfler hatten sogar ein Großprojekt in Angriff genommen, wie Xij mitbekommen hatte: den Bau eines Schiffes.
Trotzdem war Canduly Castle nur Zwischenstation. Obwohl sie Rulfan nicht angetroffen hatten, wollten sie schon am nächsten Morgen weiterfahren. Das brennende Ding am Himmel, von dem Jenny berichtet hatte, war der Grund dafür. Matt vermutete dahinter ein Raumschiff - von Marsianern ! Verrückt! Oder hatte sie sich das nur eingebildet?
Xij wischte sich den Schweiß von der Stirn. Plötzlich begegnete sie Aruulas Blick. Die Kriegerin von den Dreizehn Inseln beobachtete sie aufmerksam. Hatte sie etwas bemerkt? Sie konnte Gedankenbilder erlauschen!
Xij setzte schnell ein schiefes Lächeln auf. Aruula schien beruhigt. Als sie sich wieder Matt zuwandte, fuhr die junge Frau fort, die Puzzleteile ihrer Erinnerung zusammenzusetzen:
Okay, Drax meinte, das Objekt am Himmel könne nur vom Mars stammen. Niemand sonst besäße Raumschiffe und flöge da oben herum. Marsianer! Der Typ war ja irre! Doch seine Gefährtin bestätigte die Behauptung. Vor vielen hundert Jahren war eine Expedition zum Mars aufgebrochen. Als 2012 der Komet »Christopher-Floyd« mit der Erde kollidierte, war der Rückweg für die Expeditionsteilnehmer abgeschnitten. So entstand eine irdische Kolonie auf dem roten Planeten.
Das Ganze überstieg Xijs Vorstellungsvermögen. Trotzdem glaubte sie ihren neuen Begleitern, die beide anscheinend auf dem Mars gewesen und Freunde der Kolonisten waren. Nach Jennys Aussage musste das Raumschiff, das sie vor Wochen gesichtet hatte, irgendwo in Osteuropa oder Russland niedergegangen sein. Diese Lande- oder Absturzstelle wollte Matt finden.
Froh, endlich wieder den roten Faden der letzten Tage gefunden zu haben, atmete Xij erleichtert auf. Sie trank einen Schluck Wasser und fischte sich Käse und Brot vom Tisch.
Matt hatte gehofft, mit Hilfe des Albinos Rulfan, der im Bunker von Salisbury aufgewachsen war, und dessen Techno-Freund Pat Pancis den Ort genauer berechnen zu können. Doch als sie heute Morgen Canduly Castle erreichten, teilte ihnen die Freundin des Burgherren mit, dass Rulfan noch auf Guernsey unterwegs war. [3] Und
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