283 - Der Zorn der Königin
Bewegungen wirkten fahrig, als hätte eine ewige Ungeduld von ihm Besitz ergriffen. Anders als Enna bellte er seine Worte heraus, als wären die Frauen seine Untergebenen. Auch jetzt wieder, als er von Victoria Windsor wissen wollte, wo genau der Zweimaster vor Anker lag.
Victoria Windsor zuckte unmerklich zusammen. Sie wusste nicht einmal, ob das Schiff, mit dem die Demokraten nach London zurückgekehrt waren, überhaupt hier vor Anker lag. Die Behauptung war Mittel zum Zweck gewesen, hierher zu gelangen.
»Wir müssen auf die andere Seite der Stadt.« Sie deutete vage nach Osten.
»Und wo finden wir die Besatzung?«
Diese Frage war noch schwieriger zu beantworten. Selbst wenn die Demokraten unter der Führung von Josephine Warrington die Rückreise nach London überlebt hatten, war es nicht sicher, ob es ihnen gelungen war, Taratzen und Lords zu vertreiben und den Regierungsbunker zurückzuerobern. Vielleicht waren sie inzwischen alle tot.
Lady Victoria warf dem Mann an ihrer Seite einen verstohlenen Blick zu. Sollte sie ihm die Machtverhältnisse in London überhaupt offenbaren? Schließlich entschied sie, es nicht zu tun. »Im Bunker werden wir Männer und Ausrüstung finden«, sagte sie leichthin. »Er liegt bei Westminster. Ein, zwei Wegstunden von hier.«
»Hm«, brummte Meikel.
Enna nickte stumm.
Schweigend liefen sie weiter. Bald entdeckten sie in der Ferne eine Brücke, über die sie den Fluss überqueren und die Tore der Stadt erreichen konnten. Doch bei der Brücke angekommen, mussten sie feststellen, dass diese an mehreren Stellen eingestürzt war. Wie in Basingslocke musste auch hier das Unwetter gewütet haben. Schlammschlieren überzogen das Ufergras und das Wasser der Themse war ganz braun vom aufgewühlten Sandgrund. Hier jedenfalls würden sie den Strom nicht überqueren können.
Also machten sie sich auf, einen anderen Übergang zu suchen. Schon nach kurzer Zeit wurden sie fündig: Erst hörten sie nur Stimmen. Dann entdeckten sie einen kleinen Kahn, der unterhalb der Uferböschung im seichten Wasser schaukelte. Ein blonder Junge saß darin und angelte. Einen Speerwurf flussaufwärts bedeckten große Findlinge den Strand. Dort wuschen Frauen inmitten einer spielenden Kinderschar ihre Wäsche.
Noch hatte keiner von ihnen die Gefährten auf der Uferböschung entdeckt. »Wir nehmen das Boot«, flüsterte Meikel. Nach einem kurzen Blickwechsel mit den Frauen, der keinen Widerspruch zuließ, kletterte er den Hang hinab. Enna und die Ex-Queen folgten ihm. Erst als sie das Kiesfeld erreichten, über das die trägen Wellen der Themse plätscherten, hob der Junge im Kahn den Kopf. Neugierig blickte er die Fremden nacheinander an. Offensichtlich hielt er sie für Bettler, denn plötzlich sagte er mit Bedauern in der Stimme: »Hia gibt's nix zu holen. Veasuchts in dea Stadt!«
Ein Bengel der Lords! , durchfuhr es Victoria. Die ganze Bande war daran zu erkennen, dass sie kein »r« aussprechen konnten. Aber sie beherrschte sich. Sie war nicht hier, um Kinder zu richten.
»Genau da wollen wir hin.« Meikel zog ein freundliches Gesicht. »Kannst du uns in deinem Kahn übersetzen?«
»Nee, geht nich. Muss den Kübel da vollkwiegen.« Der blonde Knabe deutete auf einen Blecheimer, der bis zur Hälfte mit toten Fischen gefüllt war. Ohne die Gefährten weiter zu beachten, wandte er sich wieder dem Wasser zu.
Das aufgesetzte Lächeln verschwand aus Meikels Gesicht. Er fackelte nicht lange, streifte seine Armbrust von der Schulter und legte auf den Jungen an. »Raus aus dem Boot. Wir haben es eilig.«
Verblüfft drehte der Kleine sich um. Als er die Waffe sah, bekam er große Augen. Rote Flecken erschienen auf seinen Wangen und die Angel in seiner Hand zitterte. Einen Moment lang warf er einen Blick über die Schulter zu den Frauen. Doch die schlugen die nasse Wäsche gegen die Findlinge und ahnten nichts von den Vorgängen beim Boot.
»Schrei und du bist tot!«, raunte Meikel.
Der Junge zuckte zusammen. Zögernd legte er die Rute beiseite und stand auf. Doch anscheinend war er noch nicht bereit, klein beizugeben. Anstatt aus dem Boot zu steigen, ballte er die Linke zur Faust und umklammerte mit der Rechten den Anhänger seiner Kette. »Mein Onkel ist Paacival, dea Anfühwe dea Loads. Ea wiad dia den Kopf abschneiden, wenn du mia den Kahn klaust«, sagte er trotzig.
Victoria Windsor horchte überrascht auf. Aus schmalen Augen fixierte sie den Jungen. Sollte das tatsächlich der Neffe des Grandlords
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