2894 - Niemand stribt für sich allein
innerhalb der Tatortgruppe, das für den Bereich IT zuständig war.
Detective Younger kam uns entgegen, eine dunkelhaarige, energisch wirkende Frau von Mitte dreißig. Die Kapuze ihres weißen Overalls hatte sie nach hinten gestreift.
»Können Sie sich das vorstellen?«, fragte sie. »Die beiden jungen Ladys haben über Facebook kommuniziert, und zwar auch dann, wenn sie zu Hause waren – sozusagen Tür an Tür.«
»Schwer vorstellbar«, kommentierte Phil. »Aber sicherlich kein Einzelfall.«
»Unser Revier hat einen eigenen Account«, sagte Sharon Younger. »Ich habe mich gerade eben eingeloggt und den letzten Dialog zwischen Deana und Gillian auf den Schirm geholt.«
Phil und ich kannten die Abläufe, durch die sowohl das NYPD als auch das FBI in die Tiefen der sozialen Netzwerke vordringen konnten. Und Detectives, die bei der SRD arbeiteten, kannten alle Raffinessen, mit denen man an fremden Freundeskreisen teilhaben konnte.
Detective Younger wandte sich zur Seite und deutete mit einer ausladenden Handbewegung auf die Einrichtung. Deanas Computer stand in der Ecke links neben dem Fenster. Dort sah es nicht anders aus als im Rest des Zimmers. Deana hatte eindeutig Probleme mit dem Aufräumen.
In der Arbeitsecke rund um den Rechner und das Hardware-Zubehör lagerten Berge von Büchern, Illustrierten, Zeitungen, Sammelmappen und Schnellheftern. Im Wohnteil hatte Gillian O’Farrells Untermieterin Kleidungsstücke auf der Klappcouch und den beiden Sesseln verteilt. Zwischen Tisch und Sesseln stand ein Bügelbrett, daneben ein Kunststoffkorb mit frisch gewaschener Wäsche. Auf einer Kommode bei der Tür lagen ein Schlüsselbund, eine lederne Brieftasche mit dem Aufdruck eines Autohändlers und zwei offene Handtaschen.
»Und ich dachte immer, Frauen wären ordentlicher als Männer«, konnte Phil sich nicht verkneifen zu sagen.
Sharon Younger sah ihn an und lächelte. »Das hat Ihnen bestimmt Ihre Mutter erzählt. So erzieht man kleine Jungs zur Ordnung. Indem man ihren Ehrgeiz weckt. Und welcher Junge will nicht besser sein als die Mädchen?«
»Hm.« Phil tat, als würde er darüber nachdenken. »Interessante Theorie. Jetzt weiß ich wenigstens, warum ich so geworden bin, wie ich bin.«
»Ein Pedant«, sagte ich und sah, dass mein Freund grinste, während ich mich an Sharon wandte. »Was meinen Sie? Nach einem planvollen Aufbruch sieht das hier nicht aus, oder?«
»Schwer zu sagen.« Detective Younger hob die Schultern. »Man würde kaum in Urlaub gehen und seine Wohnung sohinterlassen. Ich bin jedenfalls sicher, dass Deana vorhatte, nach Hause zurückzukehren.« Sie zeigte auf den Computer. »Am besten sehen Sie sich mal an, was ich gefunden habe.«
Sharon klickte sich an eine Textstelle, die sie sich gemerkt hatte. Es handelte sich um einen Dialog, den Deana und Gillian am Freitagnachmittag um drei Uhr geführt hatten.
Sag mal, nehmen wir heute Abend ein Taxi, oder fahren wir selbst? Es war Gillian, die das fragte.
Also, wenn Raga einlädt, braucht man sich um so was nicht zu kümmern. Dann wird man abgeholt, okay?
Sag mal, Hanna wird doch auch da sein, oder?
Aha. Hab doch schon lange gemerkt, dass da jemand scharf auf unseren Agrarier ist. Kannst du dir eine Zukunft als Dachfarmerin vorstellen?
Mein Gott, Deana! Du bist ja schlimmer als meine Mom – früher.
Lenk nicht ab. Du hast ein Auge auf Hanna geworfen. Ich sehe doch, was für einen verklärten Blick du kriegst, wenn du über Bohnen und Kartoffeln sprichst.
Himmel, Deana, ich unterstelle dir ja auch nicht, dass du eine Mafiabraut werden willst.
Kannst du aber. Ich geb’s wenigstens zu. Wobei Braut nicht ganz der richtige Ausdruck ist. Mafiaanwältin würde mir besser gefallen.
Dein Ernst?
Aber klar. Du machst dir einen wahnsinnig guten Namen, wenn du die Größen des organisierten Verbrechens in den großen Strafprozessen vertrittst. Du wirst ständig in den Medien erwähnt und musst Interviews geben. Und wenn du ihre Leute erfolgreich verteidigst, reißen sich die Mafiafamilien um dich. Sie bezahlen dich fürstlich, und du führst ein Leben in den allerfeinsten Kreisen.
Ich gab Sharon ein Zeichen. Sie stoppte den Textdurchlauf.
»Mit den Spitznamen haben sie es«, sagte sie. »Könnt ihr damit etwas anfangen?«
»Ich denke schon«, erwiderte ich und zog mein Smartphone aus der Tasche. »Hanna, der Dachfarmer, dürfte Clark Hanrahan sein.« Ich erklärte der Kollegin, dass es sich um den Geschäftsführer der Rooftop Produce Coop
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