292 - Chimären
spritzte in einer Fontäne in den Nachthimmel und ein zähflüssiger Magmastrom quoll wie eine feurige Woge auf den Eingang des Bauwerks herab.
Gwadain ging in das Bauwerk zurück.
Wenn überhaupt, würde er nur dort überleben können. Knirschend schlossen sich die mächtigen Steinflügel. Das Magma überflutete schon im nächsten Moment das Plateau vor dem Tor.
Die nächsten Tage glichen einem einzigen Albtraum. Sie waren ausgefüllt von Erdstößen, Beben und Erschütterungen. Immer wieder grollte, krachte und kreischte es. Doch irgendwann war es vorbei.
Gwadain konnte es kaum glauben, noch am Leben zu sein. Zu seinem Entsetzen musste er jedoch feststellen, dass er in dem Bauwerk unter metertiefen erkalteten Lavamassen eingeschlossen war. Auch die durchlässigen Steintore tiefer im Berg, durch die man in Sekundenschnelle Tausende von Kilometern überbrücken konnte, funktionierten nicht mehr. Es ließ sich keine Verbindung zu einem Gegentor herstellen.
Zum Glück befand sich der ZERSTÖRER nach wie vor in seinem Gefängnis.
Gwadain hielt ein Jahr durch. Dann beschloss er, in Tiefschlaf zu gehen und die Zeiten in einem endlosen Traum zu überdauern. Er stellte die Maschinen so ein, dass er erst wieder erwachte, wenn jemand die Anlage betrat…
Bolivien, 1992
Schon seit mehr als einem Jahr hetzten der Archäologe Tom Ericson und die Anthropologin Gudrun Heber durch die ganze Welt, um im Auftrag der privaten Organisation A.I.M. zur Erforschung von Mysterien den Weg ins versunkene Atlantis zu finden. Durch zwei geheimnisvolle Schlüssel, einen Goldkopf aus Yukatan und eine tibetanische Gebetsmühle waren sie in einen Raum vorgedrungen, in dessen Mitte auf einem Podest ein goldenes Stadtmodell ruhte.
Tom und Gudrun glaubten, dass es sich um den dritten Schlüssel handelte, der ihnen ganz unmittelbar den Weg nach Atlantis öffnen würde. Das Modell, das exakt die unterirdische Stadt unterhalb des Grabes des ersten Kaisers von China abbildete, war von verschlungenen Kanälen durchzogen, in denen eine quecksilberartige Flüssigkeit floss. Mit Dutzenden von kleinen Schleusen und Sperren konnte sie in unzählige Bahnen gelenkt werden. Die beiden Abenteurer waren sicher, dass sie die Kanäle genau so füllen mussten, wie es auf der chinesischen Vorlage, die sie besaßen, der Fall war.
Tom Ericson machte sich an die Arbeit. »Geschafft«, sagte er nach einigen Stunden in meist gebückter Haltung und vorübergehendem Wirbelsäulenstechen. »Die Schleusen stehen so wie auf der Vorlage, jetzt müssen wir die Kanäle nur noch fluten.«
Langsam floss die Flüssigkeit in die vorbereiteten Kanäle. Plötzlich zuckte ein bläuliches Blitzlichtgewitter über dem Modell und öffnete das letzte Tor - einen Durchgang in Zeit und Raum. Tom Ericson drückte sich seinen Indiana-Jones-Schlapphut ins Gesicht, ging entschlossen durch das Tor - und stellte fest, dass ihm auf der anderen Seite der Rückweg abgeschnitten war!
Innerhalb der seltsamen Anlage, die sechseckige Räume aufwies, traf Tom Ericson auf einen weißhaarigen Greis, der sich ihm als Gwadain vorstellte. Der Archäologe erfuhr, dass er tatsächlich in einer atlantischen Station gelandet war, die die Jahrtausende in meterdickes Magma eingeschlossen überstanden hatte. Gwadain war zudem bereit, Tom seine Geschichte zu erzählen. So erfuhr der Abenteurer weiter, was Gwadains Aufgabe war - über den fürchterlichen ZERSTÖRER zu wachen nämlich.
Tom Ericson bot dem alten Mann an, ihn nach Bolivien mitzunehmen, wenn er die Station wieder verließ. Gwadain willigte zögernd ein, wollte zuvor aber noch nach dem ZERSTÖRER sehen.
Der Archäologe und der alte Atlanter gingen gemeinsam durch die Gänge in den Bauch der Anlage hinein. Dabei stellten sie Zerstörungen fest, die es vor Gwadains langem Schlaf noch nicht gegeben hatte.
»Nein! Bei allen Göttern, nein!«, schrie Gwadain qualvoll auf, als sie das Gefängnis des Aymish betraten. Die Chimäre war weg. Ausgebrochen. In der gegenüberliegenden Steinwand gähnte ein großes Loch.
Erschütterungen liefen durch Wände und Boden. Der ZERSTÖRER war in der Anlage unterwegs. »Er ist hier irgendwo ganz in der Nähe«, flüsterte Gwadain mit zitternder Stimme. Im selben Moment donnerte ein ohrenbetäubendes Krachen aus dem Säulengang, der sich direkt an den Raum anschloss. Es klang, als zerberste die gesamte Konstruktion. Aufwirbelnder Staub verdeckte Tom die Sicht.
Gwadain floh, der Archäologe folgte ihm,
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