3. Die Connor Boys: Diese Nacht kennt kein Tabu
Haus besichtigen wollten. Doch die Geräusche draußen und im Haus störten sie nicht.
Erst nachdem sie das Tagebuch durchgelesen hatte, schaute sie auf. Schwarze Wolken hatten sich vor die Sonne geschoben. Das blassblaue Schlafzimmer lag im Dämmerlicht und wirkte fast gespenstisch. Außer ihr befand sich niemand in dem Raum, und doch hatte sie das
Gefühl, die junge neunzehnjährige Julia wäre bei ihr, so nah, dass sie sie hätte anfassen können.
Rasch kletterte sie mit dem Tagebuch von dem Fenstersitz, verließ das Zimmer und lief zur Treppe. Was sie über Julia erfahren hatte, war überraschend, aber was sie über Benjamin gelesen hatte, hatte sie regelrecht erstaunt. Da sie von Michael wusste, wie er über seinen Großvater dachte, nahm sie an, es würde ihn interessieren.
Zuerst sah Michael nur ihre nackten Beine, als sie die Treppe herunterkam. Sie trug einen Jeansrock und eine grünweiß gestreifte Bluse. Das blonde Haar hatte sie mit einem pinkfarbenen Band im Nacken zusammengebunden. Die Kleidung war, wie er mittlerweile wusste, typisch für sie: schlicht, ordentlich, gut sitzend. Nichts hatte Simone an sich, was das Rasen seines Herzens erklären wür de.
Auf halber Treppe blieb sie stehen und spähte über das Geländer. Ihre Augen weiteten sich beim Anblick der vielen Leute in der Halle, und sie machte auf dem Absatz kehrt.
„Simone, warte!" Michael handelte spontan, als er die Treppe hinauflief. Er hatte seine Gründe dafür.
Sie drehte sich zu ihm um und hob das schmale Buch hoch. „Ich wollte dir nur etwas zeigen. Aber das kann warten", wehrte sie schnell ab.
„Wenn du ein paar Minuten Zeit für mich hättest, wäre ich dir sehr dankbar", flüsterte er ihr zu.
„Ach so, Ms. Haifisch. Macht sie dir wieder das Leben schwer?" flüsterte Simone zurück. Das war eigentlich nicht so sehr das Problem, aber als er das Lachen in ihren Augen sah, wollte er sie nicht enttäuschen und ließ sie in dem Glauben.
Im Gegensatz zu ihm schien sie sich von seinem Ausrutscher am Strand erholt zu haben. Ihn wurmte das noch immer, aber jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt, um sich damit auseinanderzusetzen.
Er hatte das Haus voller Leute, und mit etwas Glück würde es heute zu einem Verkaufsabschluss kommen. Paula Stanford mach te ihm das Leben zwar schwer - die Frau wirkte in dem engsitzenden Kostüm mehr als aufdringlich -, aber er konnte nichts Nach teiliges über ihre Arbeit sagen. Sie ha tte seiner Meinung nach die richtigen Leute ausgesucht.
Es war eine japanische Familie. Mr. Suisami war Arzt und arbeitete in einem Privatlabor in der Nähe von Washington. Dem neuen BMW und dem Schnitt seines Anzugs nach zu urteilen, bezweifelte Michael nicht, dass der Mann sich ein Ferienhaus in Maine leisten konnte. Seine Frau war zart, schüchtern, still. Sie hatten drei Kinder, und wie ihr leicht gewölbter Bauch verriet, war das vierte unterwegs. Michaels Söhne wären längst in allen Ecken gewesen, hätten das Haus wie geölte Blitze erkundet. Ihre nicht. Mit ernsten Gesichtern folgten sie der Mutter wie Küken der Henne.
Michael hatte mehr Geld mit Aktien verdient als mit Grund und Boden, aber er brauchte kein Grundstücksmakler zu sein, um sofort zu erkennen, dass der Verkauf einzig und allein von der Frau abhing. Paula hatte sich an Mr. Suisami gehängt. So blieb ihm nichts anderes übrig, als sich um die Mutter mit den Küken zu kümmern. Sein einziges Problem war die Sprachbarriere. Mrs. Suisami schien nur ein einziges Wort in Englisch zu kennen. Nett.
Er hatte ihr den Wintergarten mit den Jalousien und dem Blick auf den Strand gezeigt. Sie hatte genickt und „nett" gesagt. Er hatte ihr die Bibliothek gezeigt, versichert, dass die Computerausrüstung nicht dazugehöre, und auf den ausreichenden Platz für Bücher hingewiesen. Wieder hatte sie genickt und „nett" gesagt. Er hatte ihr die Küche gezeigt mit den alten Eichenschränken und dem großen Vorratsraum. Sie hatte genickt und „nett" gesagt.
„Ich glaube, die Japanerin versteht kein Wort von dem, was ich ihr sage", raunte Michael Simone zu. „Sie lächelt nur. Ich weiß nicht, wie ich das noch lange durchstehen soll."
„Und du meinst, ich könnte dir da helfen? Michael, ich spreche kein Japanisch."
„Du bist aber eine Frau, oder? Ich denke, du weißt, was eine Frau über ein Haus wissen
will. Komm mit, wenn ich ihr oben die Schlafzimmer zeige, ja?"
Gerade als sie ihm widersprechen wollte, rief Paula: „Michael?" Schon kam diese
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