3. Die Connor Boys: Diese Nacht kennt kein Tabu
hatte sie nie gesprochen."
„Wie alt war sie denn da?"
„Neunzehn. Furchtbar jung. Das älteste von fünf Kindern. Ihr Vater hat bei der Weltwirtschaftskrise alles verloren. Drei Tage nach dem schwarzen Donnerstag wurden sie und mein Großvater von einem Friedensrichter getraut. Mein Großvater hatte Geld. So einfach war das. Sie hat geglaubt, sie würde ihre Familie damit retten... wahrscheinlich war das so." Als Michael ihr die Brötchen reichte, schüttelte sie dankend den Kopf. Kohlehydrate setzten sich schnell an ihren Schenkeln fest.
„Und hast du herausgefunden, warum sie nun eine Affäre mit meinem Großvater hatte?"
„Nein. Noch nicht. Aber jetzt kommt, was ich dir erzählen wollte. In dem Jahr ist sie Benjamin begegnet. Das erste Mal. Auf den ersten Blick konnte sie ihn nicht leiden und hat ihm sogar ein blaues Auge geschlagen."
„Du machst Witze?"
„Nein." Simone zögerte. „Sie war von Anfang an unglücklich in ihrer Ehe. Sie hat zwar nichts über die Hochzeitsnacht geschrieben, aber mit dem Tanzen gehen war es erst mal vorbei. Sie musste zu Hause bleiben, ihren Mann von vorne bis hinten bedienen und immer dankbar sein, dass er ihrer Familie finanziell half." Sie zö gerte erneut. „Dann hat sie sich in diese Kneipen geschlichen, wenn er geschäftlich verreist war. Sie war nicht auf irgend etwas aus. Zumindest da noch nicht. Sie wollte nur tanzen. Als sie auf Benjamin traf, hatte er wohl angenommen, sie sei allein und suche einen Mann. Er hat sich ihr genähert. Und sie hat ihm eine runtergehauen. "
Michael warf einen Blick zur Decke. „Sicher hatte er es verdient. Aber es ist kaum zu verstehen, wie sich danach noch eine Romanze zwischen ihnen entwickeln konnte."
„Dafür muss ich erst die nächsten Tagebücher lesen, dann weiß ich mehr. Sie ist so anders, als ich dachte. Sie hat uns von ihren wilden Abenteuern immer erzählt, als wäre sie stolz darauf. Mein Großvater starb, als ich klein war. Ich habe ihn nie richtig gekannt. Aber ich fürchte, er hat sie körperlich misshandelt. Sie schreibt das zwar nicht ausdrücklich in ihrem Tagebuch, aber die Eintragungen klingen so wütend, verwirrt und furchtbar unglücklich. Sie fühlte sich gefangen. Und habe ich dir schon erzählt, dass sie sogar wegen Geburtenkon trolle an Herbert Hoover geschrieben hat?"
„Wiederhol das noch mal."
Simone lachte bei Michaels ungläubigem Ton. „Ja, das stimmt. Als ich es zuerst gelesen habe, fand ich das auch komisch. Ich kann mir gar nicht vorstellen, was der Präsident der Vereinigten Staaten gedacht hat, als er den Brief erhielt. Andererseits, wie verzweifelt muss eine Frau sein, um zu solchen Mitteln zu greifen? In die unglückliche Ehe wollte sie keine Kinder gebären. Sie hat einen Arzt gefragt, ihre Mutter und Freundinnen. Niemand hat ihr etwas sagen wollen. Alle haben sie belehrt, dass es die Pflicht der Frau sei, Kinder zu bekommen. Ich weiß nicht, ob Präsident Hoover ihr geantwortet hat, aber sie hat sich irgendwie ein Diaphragma besorgt. Das stand im nächsten Eintrag."
Michael legte die Gabel aus der Hand und stützte die Ellenbogen auf dem Tisch auf. „Du bist froh, dass du die Tagebücher gefunden hast, nicht wahr? Ich höre es dir an. Deine Großmutter war gar nicht so wild und rücksichtslos, wie du befürchtet hast."
„Ehrlich gesagt, fühle ich mich im Moment nur verwirrt. Sie hat immer behauptet, eine verbotene Liebe würde mehr Spaß machen. Das klang so, als würde sie mit jedem Mann ins Bett gehen, der sie einlud. Sie hat mich immer gewarnt, ich nähme alles zu ernst und würde nie die Liebe erleben, wenn ich nicht Jede Vorsicht außer acht ließe'." Simone rieb sich die Schläfen. „Mensch, Michael, sie hat nie durchblicken lassen, wie unglücklich sie war. Ich bekomme direkt ein schlechtes Gewissen, weil ich sie so hart verurteilt habe. Trotzdem kann ich nicht gutheißen, was sie getan hat. Gleichgültig welche Umstände, sie war verheiratet, als sie die Affäre mit deinem Großvater anfing."
„Sicher wirst du herausfinden, dass mein Großvater ein Schurke war, so ein gemeiner Kerl, der eine hilflose Frau rücksichtslos verführt." Michael verstummte plötzlich und wirkte schuldbewusst. Dann meinte er kopfschüttelnd: „Wer weiß, auf was du noch stößt? Im Moment haben unsere Verwandten erst mal Krach."
„Das nächste Buch lese ich morgen."
Wie auf ein Kommando sprangen sie beide auf, um das Geschirr abzuräumen. Simone hatte vor, gleich danach zu gehen, denn
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