30 - Auf fremden Pfaden
welche Löwen einfach mit der Hand erwürgt haben sollen; ich hatte bisher an der Wahrheit dieser Erzählungen gezweifelt, wurde jetzt aber überzeugt, daß es menschliche Individuen geben könne, deren physische Kraft selbst derjenigen eines solchen Tieres gewachsen ist. Ich raffte mich auf und zog das Messer.
„Wir müssen ihn töten!“
„Ist nicht nötig, Mynheer; er ist bereits unschädlich!“
Der Boer kniete auf dem Leoparden, der sich gegen den mächtigen Druck nur durch ein dumpfes Heulen wehren konnte, und schlang die Kette um einen der tief in die Erde eingelassenen Steine, welche die Stützen des Plankenzaunes bildeten. Dann erhob er sich.
„Hier hängt er sicher, bis zum Tag, wo das Auge hinreicht, ihn fügsam zu machen. Seid Ihr verwundet?“
„Ein wenig an der Schulter.“
„So kommt schnell, damit Ihr verbunden werdet! Es war allerdings wohl eine Unvorsichtigkeit, das Tier loszulassen, uns aber wären mehr Feinde entgangen als ihm.“
Er stieg über den Zaun, und auch ich tat es trotz der Schmerzen, welche ich dabei an der verwundeten Achsel empfand.
„Macht die Tür auf, Baas Jeremías!“
„Sogleich, Neef Jan!“ antwortete der Boer von oben herunter. „Wie ist's mit den Kaffern?“
„Zwei sind entkommen; die andern werden wir uns anleuchten.“
Die Tür wurde geöffnet, und wir standen im Begriff, einzutreten, als wir jenseits des Zaunes nahendes Pferdegetrappel vernahmen, welches von einer hilferufenden Stimme übertönt wurde.
„Au, oh, oh! Mynheer, helf! Bös' Geist will freß' Quimbo und freß' Pferd!“
Was konnte das für ein Geist sein? Jan eilte zum Tor und zog es auf. Nach wenigen Augenblicken kam Quimbo auf seinem Mozambique herbeigesprengt; ihm folgten, trotzdem er sie nicht am Zügel hatte, die beiden andern Pferde, und hinter diesen fegte mit weit vorgestrecktem Hals der Strauß herein.
„Oh, Geist will fang' arm' Quimbo. Mynheer schieß' tot Geist!“ rief der Kaffer, jetzt vor mir haltend und mit ängstlicher Gebärde zurückdeutend.
Baas Jeremías stand mit einer großen Laterne unter der Tür, so daß wir deutlich zu sehen vermochten. Der Strauß war, wie wir später bemerkten, durch die jedenfalls von den Zulus geöffnete Plankenpforte aus dem Garten geraten und auf Quimbo gestoßen, der sich dem Haus genähert hatte und in der Dunkelheit den Vogel nicht erkennen konnte. Jetzt sah er freilich, mit welcher Art von Geistern er es zu tun gehabt hatte, und der Mut kehrte ihm zurück. Vom Pferd springend, faßte er seinen Wurfspeer und schlug damit kräftig auf seinen Verfolger los.
„Was? Geist bin Vogel, bin Strauß? Wart, Quimbo will zeig' Vogel, zu mach' Geist!“
Er hatte sich in seinem Gegner verrechnet. Der in der Freiheit so schüchterne und furchtsame Strauß ist in gezähmtem Zustand oft ein sehr tapferer Wächter des Hauses und, wenn er einmal zum Bewußtsein seiner Stärke gelangte, ein Kämpe, mit dem man nicht so leicht anbinden darf. Quimbo sollte dies sofort erfahren; der Vogel riß ihn mit einem kraftvollen Anlauf zur Erde, versetzte ihm einige höchst energische Beintritte und schlug mit dem Schnabel nach seinem Kopf, wobei er unglücklicherweise nach der Frisur zielte, die im Augenblick ihre künstlerische Pantoffelform verlor. Der Unterliegende stieß ein gellendes Zetermordio aus.
„Helf, Mynheer! Oh arm' Quimbo, oh schön' arm' Haar von Quimbo! Mynheer, hau' tot, schlag' tot, stech' tot, schieß' tot Strauß!“
„Rob, zurück!“ rief Jan und faßte den Vogel bei einem der kurzen, schlagenden Flügel.
Das Tier gehorchte und wurde von dem Boer nach dem noch offenen Schuppen gebracht. Quimbo raffte sich auf und wollte, seinen Schopf noch immer mit den Händen haltend, sein Lamento fortsetzen, als er meine zerfetzte Schulter bemerkte, von welcher allerdings das Blut sehr reichlich niederfloß. Sofort sprang er auf mich zu und rief besorgt:
„Mynheer hab' Wund'? Mynheer bin schlag' bald tot? Oh, oh, gut' arm' Mynheer! Quimbo werd' bind' zu Wund' von lieb Mynheer!“
Die Nachbarn und auch Mietje waren herbeigekommen. Bei den Worten Quimbos vergaßen sie die Fragen und Erkundigungen, welche sie jedenfalls auf den Lippen hatten, und umringten mich. Ich wurde in das Haus und in die Stube gezogen, wo man meine Wunde untersuchte. Sie zeigte sich zwar als schmerzhaft, aber nicht gefährlich. Während des Verbindens ging es ans Fragen und Erzählen, und dann begaben wir uns mit Laternen und wohl bewaffnet hinaus, um nach den Zulus zu
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