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30 Sekunden Verzögerung

30 Sekunden Verzögerung

Titel: 30 Sekunden Verzögerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Moore Williams
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und die Gefährlichkeit der Situation ließ Nedra offenbar unbeeindruckt. Mochte ihr Selbstvertrauen sie vorübergehend verlassen haben, sie hatte es wiedergefunden, war jenseits von Furcht und Bedrängnis.
    „Was soll mit mir sein?“ fragte sie ebenso leise zurück. „Ich versuche nur, unserer Lage das beste abzugewinnen, das ist alles.“ Ihre Stimme klang zuversichtlich, alle Spannung war von dem Mädchen abgefallen; sie war wieder Herrin der Situation und gewann aus diesem Bewußtsein Kraft.
    Jake kam aus der kleinen Küche hereingestürzt. Sein Gesicht war bleich, Schweiß stand auf seiner Stirn. „Ich kann nicht arbeiten“, schrie er heiser, „ich fühle unsichtbare Strahlen, ich …“
    „Scher dich an deine Arbeit zurück!“ befahl Cal, und der Leutnant hob das Gewehr.
    „Ich will euch doch bloß sagen, daß …“ begann Jake von neuem, aber Cal unterbrach ihn barsch.
    „Und ich sage dir, du sollst machen, daß du wieder an deine Arbeit kommst!“ zischte er wütend.
    Jakes Blicke wanderten gehetzt durch den Raum, aber Zen spürte, daß Jake sich mehr mit Vorgängen in seinem Innern beschäftigte als mit Menschen, deren Stimmen er nicht einmal zu vernehmen schien.
    „Raus!“ knurrte Cal noch einmal, und Jake verließ rückwärtsgehend den Raum.
    Der Leutnant gab einen scharfen Befehl und ließ das Gewehr sinken. Sekunden später nahmen die Soldaten mit dem Rücken zur Wand Aufstellung. Der Leutnant ging auf die Feuerstelle zu und hockte sich auf einen Stuhl.
    „Sie dort!“ befahl er. „Los, ziehen Sie mir die Stiefel aus!“
    Zen, an den der Befehl gerichtet war, preßte die Lippen aufeinander. Aus den Augenwinkeln maß er die Entfernung zur Kinnspitze des Uniformierten, gab sein Vorhaben aber auf. Alle Chancen waren gegen ihn. Selbst wenn er den Asiaten traf, würden im gleichen Augenblick die Gewehre seiner Soldaten krachen. Es hatte keinen Sinn, den Helden zu spielen und dabei zugrunde zu gehen. Er mußte warten, bis seine Gelegenheit kam.
    Er traf Anstalten, vor dem Leutnant auf den Boden zu knien, aber Nedra kam ihm zuvor und begann, die Schuhbänder des Uniformierten zu lösen.
    „Wenn Sie durchaus wollen, ich habe nichts dagegen“, lächelte der Leutnant geschmeichelt. „Ich wäre kein Mann, wenn ich mich nicht lieber von einem schönen Mädchen bedienen ließe.“
    „Es ist mir eine Ehre, Sir“, sagte Nedra mit schmalen Lippen. Sie zog ihm den Schuh vom Fuß und streifte den dicken wollenen Strumpf herunter. Mit gerunzelter Stirn sah Zen ihr zu. Er wußte nicht, was er von Nedras Gebaren halten sollte. Hatte sie ihm das Leben gerettet, dadurch, daß sie ihm zuvorgekommen war und ihn gehindert hatte, eine Dummheit zu begehen? War er ihr zu Dank verpflichtet, oder spielte sie nur mit seinen Gefühlen, wie mit denen aller Männer, die sich in dem Raum aufhielten?
    Das Gefühl der Kälte kam wieder. Er empfand die niedrige Temperatur jetzt noch stärker. Er bemerkte, daß Cals Hände zitterten, daß die Zähne eines Soldaten klirrend gegeneinander schlugen. Der Mann neben ihm sah so aus, als kämpfe er mit letzten Kräften gegen den Schlaf an.
    Zen mußte gähnen, auch er hatte ein Gefühl schwerer Müdigkeit. Zu der Kälte, die ihm zu schaffen machte, gesellte sich das Empfinden, daß dichte Nebelschwaden seine Gedanken und seinen Willen einzuhüllen drohten. Auch der Kopf des Leutnants, der dicht vor ihm saß, sank tiefer auf die Brust.
    Kein Zweifel, daß eine Müdigkeit, gegen die es kein Wehren gab, alle Anwesenden zu überkommen drohte. Wo lag die Ursache?
    Drang von irgendwoher ein geruchloses Gas in den Raum?
    Ein metallisches Poltern schreckte Zen auf, ein Schuß peitschte durch den Raum. Einem der Soldaten, die an der Wand standen, war das Gewehr entfallen, ein Schuß hatte sich beim Aufprall auf den Boden gelöst. Die Kugel zischte eine Handbreit am Kopf des Leutnants vorüber, bohrte sich mit einem hellen Laut in die Wand. Der Leutnant sprang auf die Füße, blickte sich verwirrt um. Der Soldat, dem das Gewehr entfallen war, begann zu schwanken, fiel vornüber, blieb steif und starr liegen. Ein schnarchendes Geräusch kam aus seinem halboffenen Mund.
    Der Leutnant hatte Ähnlichkeit mit einem gereizten Tiger. Er hob das Gewehr und richtete die Mündung auf den Kopf des schlafenden Soldaten. Dabei stieß er einen heiseren Befehl aus, der ohne Wirkung auf den Schlafenden blieb. Zen erwartete jeden Augenblick, das Mündungsfeuer zu sehen, aber der Leutnant krümmte seinen

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