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von glänzendem Fels. Links stieg der Gipfel des Berges hoch in den Himmel, dunkel schimmerte der Granit. Das bewaldete Gelände begann knapp fünfzig Meter tiefer. Föhren, Rottannen, Espen und Fichten zogen sich über langgewellte Hügelreihen hin, deren Schönheit sich nur ahnen ließ. Aus der Ferne schimmerte das Grenzgebirge herüber, eine wuchtige Masse von Zacken und Gipfeln, die so harmlos wirkten, obwohl Zen wußte, wie zerklüftet und gefährlich sie waren. Er hatte die Gipfel oft genug erklommen, und er liebte die schroffen Felsen, die sich nicht jedem beim ersten Ansturm ergaben.
Kumuluswolken lagerten um die ragenden Spitzen, Gewitter tobten in den tieferen Zonen.
„Über der fruchtbaren Ebene erhebt sich die purpurne Majestät der Berge …“ Ungewollt kamen Zen die ersten Worte des Liedes in den Sinn, und ein tiefer Atemzug hob seine Brust.
Dort unten lag – Amerika. Oder das, was von dem Land übriggeblieben war. Heiß stieg es in Zen auf, sein Magen krampfte sich zusammen. Wie hatte er dieses Land geliebt!
Amerika hatte sich für die Freiheit geopfert. Seine Söhne hatten dafür gekämpft, auf den Schlachtfeldern in allen Teilen der Welt, im glühendheißen Äquatorialafrika ebenso wie in den froststarren Steppen Zentralasiens. Während Amerikas Söhne im Kampf für die Freiheit in fremder Erde ihre Gräber gefunden hatten, war ihnen das, wofür sie litten, entgangen. Niemand wußte, wie es hatte geschehen können, aber die Freiheit war verschwunden. Im Verlauf der sich immer schneller folgenden internationalen Verwicklungen war sie zerbröckelt, in Amtszimmern und im Papierkrieg nationaler Kompetenzen war ihr der Garaus gemacht worden. Amerika war langsam, aber unaufhaltsam in das Fahrwasser anderer Nationen geglitten, die jede Initiative unter Gesetzen und Verboten erstickt hatten.
So war die Freiheit zu Grabe getragen worden.
„Es geht Ihnen nahe, Oberst, nicht wahr?“ fragte West mit sanfter Stimme. Sein Gesicht war ernst, hart und kantig herausgemeißelt stand sein Profil gegen den hellen Tag.
„Ich bedauere es und ich schäme mich“, erwiderte Zen. „Ich liebte dieses Land, mein Land, und wenn meine Stimme bebt, werden Sie verstehen, warum.“
„Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen, weil Sie das Land Ihrer Väter liebten“, sagte West. „Sie stehen nicht allein.“
„Nicht allein?“ wiederholte Zen. „Es klingt seltsam, dieses Wort aus Ihrem Munde zu hören.“
„Auch wir alle haben dieses Land geliebt, Oberst. Das Land und die Ideale, die es verkörperte. Darum sind wir hier.“
„Worte“, sagte Zen bitter. „Worte sind immer billig. Sie sind Fahnenflüchtige, Sie haben versäumt, Ihrem Land bis zur letzten Konsequenz zu dienen. Wer gibt Ihnen das Recht, von Liebe zu einem Land zu sprechen, das Sie im Stich ließen?“
Wests Augen begannen zu funkeln. War es Anerkennung, war es Ärger, der aus seinen Blicken sprach? „Sie führen tapfere Reden, Oberst, zugegeben. Besonders, wenn man berücksichtigt, daß Sie sich in der Gewalt dieser – hm, Fahnenflüchtigen befinden.“
„Sehr tapfer“, nickte auch Nedra. „Tapfer und – dumm obendrein.“
„Sie haben mich wohl kaum hierhergebracht, um mir zu beweisen, daß ich in Ihrer Gewalt bin“, sagte Zen. „Oder um sich mit mir über Tapferkeit und Dummheit zu unterhalten.“
„Er kann Gedanken lesen“, sagte Nedra.
„Ich habe keinen Zweifel daran“, nickte West. „Wenn er diese Fähigkeit nicht besäße, wäre er kaum hier.“
„Hören Sie auf, Unsinn zu reden“, fuhr Zen auf. „Mir ist nicht danach zumute, eine Vorstellung als Gedankenleser zu geben.“
„Nicht bewußt, Oberst, natürlich nicht“, pflichtete West bei. „Sie glauben, Ihre Gedanken gehörten nur Ihnen. Oft trifft dies zu. Aber es gibt Fälle, in denen Gedanken, die Sie als Ihr Eigentum betrachten, zugleich die Gedanken anderer sind. Wenden wir uns also den Tatsachen zu. Ich werde Ihnen einen der Gründe zeigen, warum mir Ihre Anwesenheit hier erwünscht schien. Nehmen Sie dieses Glas, richten Sie es auf die Bergkette dort drüben! Berichten Sie, was Sie sehen!“
„Pferde“, sagte Zen nach kurzer Beobachtung. „Nein, Maultiere. Mit Reitern darauf. Cusos Leute, einer seiner Stoßtrupps auf der Jagd nach Lebensmitteln, Munition und – Frauen, wenn sie sie bekommen können!“
„Gut beobachtet, Oberst. Vielleicht können wir noch hinzufügen, daß es Aufgabe dieser Männer sein dürfte, über den durch die Rakete
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