304 - Allein gegen alle
inzwischen herumgesprochen. Diejenigen, die dabei gewesen waren und mit ansehen mussten, wie Gustavo unter den Gegnern gewütet hatte, reagierten mit einer Mischung aus Angst und Abscheu. Die Brutalität, die Gustavo an den Tag gelegt hatte, kam ihnen allen übertrieben vor. Es war eine Sache, einen Gegner schnell und effizient auszuschalten. Niemand hatte etwas dagegen, dass die Fischmonster tot waren – im Gegenteil: Für viele war es eine Genugtuung, die Leichen derer zu sehen, die sich am Fleisch ihrer Freunde und Verwandten gütlich getan hatten.
Dennoch hatte es eine andere Qualität, Lebewesen regelrecht zu zerfetzen, anstatt sie – wie es Gustavo möglich gewesen wäre – schnell und human zu töten. Giovanna hatte es Carlo gegenüber als »Raserei« bezeichnet. Sie waren Forscher und Ernter, keine Killer, die zum Spaß töteten. Aber genau das schien Gustavo zu empfinden: Spaß. Sein Aufstieg zum Helden gefiel ihm so gut, dass er den Anzug gar nicht mehr hergeben wollte.
»Wir müssen jetzt die Daten auswerten, die sich während des Testlaufs ergeben haben«, wagte Giovanna nach ein paar Stunden einen ersten Vorstoß. »Die Gefahr ist vorüber, Gustavo. Der Ring von Überwachungsstationen rund um den Eingang ist verstärkt worden; sie können uns nicht noch einmal überrumpeln. Es war ein schrecklicher Tag für uns alle, aber wenn wir etwas für die Zukunft daraus lernen wollen, müssen wir dich und den Anzug untersuchen.«
Gustavo tigerte im Laborbungalow auf und ab wie ein gefangenes Tier. Er nickte stumm dabei und schien zu überlegen. Ein Hauch unterdrückter Aggressivität ging von ihm aus. Carlo konnte ihn förmlich riechen, diesen schweißig-beißenden Geruch. Schließlich blieb Gustavo stehen und sah auf das Forscherpaar herab.
»Das wäre ein zu großes Risiko«, schnaufte er leise. »Es ist mir egal, welche Maßnahmen ergriffen werden. Diese Monster sind und bleiben unberechenbar. Sie verdienen keine Gnade! Der heutige Tag hat ja wohl gezeigt, dass nur ich das Refugium beschützen kann. Im Angesicht der ständigen Gefahr wäre es fatal, den Anzug abzulegen. Nein, ich behalte ihn lieber an.«
Carlo konnte nur den Kopf schütteln ob solcher Uneinsichtigkeit. Er trat vor. »Aber wir müssen doch wissen, ob alles in Ordnung ist. Die Neuronalverbindung eines Computersystems mit menschlichem Nervengewebe ist vollkommen neuartig und experimentell! Wenn da etwas schief geht, könntest du...«
»Ich sagte doch bereits: Der Anzug funktioniert einwandfrei!« Ein drohender Unterton lag jetzt in Gustavos Stimme. Er machte einen Schritt auf Carlo zu und stieß dabei einen Rollcontainer zur Seite. Das fahrbare Möbelstück sauste durch Raum und knallte gegen eine Kühleinheit.
»Du kannst deine Kraft noch nicht richtig kontrollieren«, versuchte ihn Giovanna zu überzeugen. »Lass uns das Feintuning erledigen, und es wird dir und allen anderen Trägern möglich sein, die Möglichkeiten besser...«
»Andere Träger?«, unterbrach Gustavo sie und baute sich vor Giovanna auf. »Traut ihr mir etwa nicht zu, den Job allein zu erledigen?« Er beugte sich drohend zu der Biologin herab und ballte die Hände zu Fäusten.
Carlo schob sich schützend vor seine Partnerin. Irgendwas stimmte mit Gustavo nicht. War ihm der Ruhm zu Kopf gestiegen? Oder potenzierte der Anzug nicht nur seine Kräfte, sondern auch seine Emotionen? Je eher sie ihn aus dem Prototypen herausbekamen, desto besser.
»Habe ich nicht bewiesen, dass ich prädestiniert bin, diesen Anzug zu tragen?«, fuhr Gustavo erregt fort – und gab sich selbst die Antwort: »Natürlich habe ich das. Es sind keine weiteren Träger nötig. Ich schaffe das allein.«
Er sah Giovanna und Carlo noch einmal durchdringend an, dann stapfte er ohne ein weiteres Wort durch die Schleuse hinaus.
Carlo registrierte, wie die Biologin neben ihm hörbar aufatmete.
»Da stimmt was nicht«, sagte sie leise und nagte an ihrer Unterlippe. »Irgendetwas muss schief gegangen sein. Irgendetwas bei der Neuralverbindung. Anders kann ich mir diese Aggressivität nicht erklären.«
»Es ist, als würde er sich daran berauschen, so viel Kraft zu besitzen«, ergänzte Carlo. »Das Problem scheint in der psychologischen Komponente zu liegen, in seinem überschätzten Selbstwertgefühl.«
Giovanna fuhr sich mit der Hand über die Augen. »Ein Mann mit unvorstellbaren Kräften und einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung. Sollte das zutreffen, fangen unsere Probleme gerade erst
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