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3096 Tage

3096 Tage

Titel: 3096 Tage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Natascha Kampusch
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Ich musste jeden Tag 24 Stunden allein überstehen, unterbrochen nur durch die Besuche des Täters. Am Wochenende bekam ich vier bis acht Stunden Ablenkung auf Band und das nächste Exemplar der Buchreihe, die ich gerade las. Aber nur wenn ich seine Bedingungen erfüllte. Nur wenn ich »brav« war, gab er mir die lebenswichtige geistige Nahrung. Was er unter »Bravsein« verstand, wusste nur er. Manchmal reichte eine Kleinigkeit, dass er mein Verhalten sanktionierte.
    »Du hast zu viel Raumspray verwendet, das nehme ich dir jetzt weg.«
    »Du hast gesungen.«
    Du hast dies, du hast das.
    Mit den Videos und Büchern wusste er genau, welchen Knopf er drücken musste. Es fühlte sich an, als habe er, nachdem er mich meiner echten Familie entrissen hatte, auch meine Ersatzfamilien aus den Romanen und Serien als Geiseln genommen, damit ich seinen Anweisungen folgte.
    Der Mann, der sich anfangs bemüht hatte, mir das Leben im Verlies »angenehm« zu gestalten und für ein bestimmtes Hörspiel von Bibi Blocksberg noch ans andere Ende von Wien gefahren war, hatte sich Schritt für Schritt gewandelt, seit er mir verkündet hatte, dass er mich nie mehr freilassen werde.
     
    * *  *
     
    Zu dieser Zeit begann der Täter, mich immer stärker zu kontrollieren. Er hatte mich zwar von Anfang an komplett unter seiner Kuratel: Eingesperrt in seinem Keller, auf fünf Quadratmetern, hatte ich ihm ohnehin nicht viel entgegenzusetzen. Doch je länger die Gefangenschaft dauerte, desto weniger genügte ihm dieses sichtbare Zeichen seiner Macht. Nun wollte er jede Geste, jedes Wort und jede Funktion meines Körpers unter seine Kontrolle bringen.
    Es begann mit der Zeitschaltuhr. Die Macht über Hell und Dunkel hatte.der Täter von Anfang an gehabt. Wenn er morgens in das Verlies hinunterkam, schaltete er den Strom ein, wenn er abends ging, drehte er ihn wieder ab. Nun installierte er eine Zeitschaltuhr, die die Elektrik im Raum steuerte. Während ich anfangs noch ab und zu eine Verlängerung der Lichtzeiten erbetteln konnte, musste ich mich jetzt einem unerbittlichen Rhythmus beugen, den ich nicht beeinflussen konnte: Um sieben Uhr früh schaltete sich der Strom ein. 13 Stunden lang konnte ich in meinem winzigen, muffigen Raum einen Abklatsch von Leben führen: sehen, hören, Wärme spüren, kochen. Alles kam aus der Retorte. Eine Glühbirne kann niemals die Sonne ersetzen, Fertiggerichte erinnern nur entfernt an ein Familienessen um einen gemeinsamen Tisch, und die flachen Personen, die über den Fernsehschirm flimmern, sind nur ein schaler Ersatz für echte Menschen. Aber solange der Strom da war, konnte ich wenigstens die Illusion aufrechterhalten, ich hätte ein Leben außerhalb meiner selbst.
    Um acht Uhr abends schaltete sich der Strom ab. Von einer Sekunde auf die andere fand ich mich in totaler Dunkelheit.
    Der Fernseher stoppte mitten in einer Serie. Ich musste mitten im Satz das Buch weglegen. Und wenn ich nicht schon im Bett lag, musste ich mich auf allen vieren zu meiner Liege tasten. Glühbirne, Fernseher, Videorekorder, Radio, Computer, Kochplatte, Herd und Heizung - alles, was Leben in mein Verlies brachte, wurde abgeschaltet. Nur der tickende Wecker und das quälende Sirren des Ventilators füllten den Raum. Die nächsten elf Stunden war ich auf meine Phantasie angewiesen, um nicht durchzudrehen und die Angst in Schach zu halten.
    Es war ein Rhythmus wie in einer Strafanstalt, streng vorgegeben von außen, ohne eine Sekunde der Abweichung, ohne Rücksicht auf meine Bedürfnisse. Es war eine Machtdemonstration. Der Täter liebte Regelmäßigkeit. Und mit der Zeitschaltuhr zwang er sie auch mir auf.
    Anfangs blieb mir noch der Walkman, der mit Batterien betrieben war. Damit konnte ich die bleierne Dunkelheit zumindest ein bisschen auf Abstand halten, auch wenn die Zeitschaltuhr befunden hatte, dass mein Pensum an Licht und Musik erschöpft war. Doch dem Täter missfiel es, dass ich mit dem Walkman sein göttliches Gebot über Hell und Dunkel umgehen konnte. Er begann, den Stand der Batterien zu kontrollieren. Benutzte ich den Walkman seiner Ansicht nach zu lange oder zu häufig, nahm er ihn mir weg, bis ich Besserung gelobte. Einmal hatte er die äußerste Tür zum Verlies offenbar noch nicht ganz geschlossen, als ich schon mit den Kopfhörern des Walkmans auf meiner Liege saß und lautstark einen Beatles-Song mitsang. Er muss meine Stimme gehört haben und kam fuchsteufelswild ins Verlies zurück. Priklopil strafte mich mit

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