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3096 Tage

3096 Tage

Titel: 3096 Tage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Natascha Kampusch
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In die Dachgaube bauten wir ein neues Badezimmer mit Marmorfliesen ein. Ich war Hilfsarbeiterin und Leibeigene in einer Person: Ich musste schleppen helfen, Werkzeuge reichen, schaben, stemmen, malen. Oder auch stundenlang regungslos die Schüssel mit der Spachtelmasse halten, während er die Wände glattstrich. Wenn er eine Pause machte und sich setzte, musste ich ihn mit Getränken versorgen.
    Die Arbeit hatte ihre guten Seiten. Nach zwei Jahren, in denen ich mich in meinem winzigen Raum kaum bewegen konnte, genoss ich die erschöpfende körperliche Betätigung. Die Muskeln an meinen Armen wuchsen, ich fühlte mich stark und nützlich. Vor allem genoss ich es anfangs, dass ich nun unter der Woche mehrere Stunden am Tag außerhalb des Verlieses verbringen konnte. Die Mauern um mich herum waren zwar oben nicht weniger unüberwindbar, auch die unsichtbare Leine war stärker denn je zuvor. Aber zumindest hatte ich Abwechslung.
    Gleichzeitig war ich oben im Haus der üblen, dunklen Seite des Täters schutzlos ausgesetzt. Ich hatte ja schon bei dem Zwischenfall mit der Bohrmaschine die Erfahrung gemacht, dass er zu unkontrollierten Wutausbrüchen neigte, wenn ich »nicht brav« war. Im Verlies hatte es dazu kaum Gelegenheit gegeben. Doch nun, beim Arbeiten, konnte ich in jeder Sekunde einen Fehler machen. Und Fehler mochte der Täter nicht.
     
    * *  *
     
    »Gib mir die Spachtel«, sagte er an einem unserer ersten Tage auf dem Dachboden. Ich reichte ihm das falsche Werkzeug. »Du bist echt zu deppert zum Scheißen!«, brach es aus ihm heraus. Seine Augen wurden von einer Sekunde zur nächsten ganz dunkel, als ob sich eine Wolke vor die Iris geschoben hätte. Sein Gesicht verzerrte sich. Er griff nach einem Zementsack, der neben ihm lag, hob ihn an und warf ihn mit einem Schrei nach mir. Der schwere Sack traf mich völlig unvorbereitet und mit voller Wucht, so dass ich für einen Moment ins Taumeln geriet.
    Innerlich erstarrte ich. Es war nicht so sehr der Schmerz, der mich so schockierte. Der Sack war schwer, und der Aufprall tat weh, aber das hätte ich wegstecken können. Es war das schiere Ausmaß an Aggression, die aus dem Täter herausgebrochen war, das mir den Atem nahm. Er war ja der einzige Mensch in meinem Leben, ich war völlig von ihm abhängig. Dieser Wutausbruch bedrohte mich auf eine ganz existentielle Weise. Ich fühlte mich wie ein geprügelter Hund, der die Hand, die ihn schlägt, trotzdem nicht beißen darf, weil es die gleiche ist, die ihn füttert. Der einzige Ausweg, der mir blieb, war die Flucht in mein Inneres. Ich schloss die Augen, blendete alles aus und rührte mich nicht von der Stelle.
    Der Aggressionsschub des Täters war genauso schnell vorüber, wie er gekommen war. Er kam zu mir, schüttelte mich, versuchte meine Arme zu heben und kitzelte mich. »Hör doch auf, es tut mir leid«, sagte er, »das war doch nicht so schlimm.« Ich blieb mit geschlossenen Augen stehen. Er zwickte mich in die Seite und schob mit seinen Fingern meine Mundwinkel nach oben. Ein gequältes Lächeln, im wahrsten Sinne des Wortes. »Sei doch wieder normal. Es tut mir leid. Was kann ich denn machen, damit du wieder normal bist?«
    Ich weiß nicht, wie lange ich so dastand, reglos, schweigend, mit geschlossenen Augen. Irgendwann aber siegte der kindliche Pragmatismus. »Ich will ein Eis und Gummibärchen!«
    Halb nützte ich die Situation aus, um an Süßigkeiten zu kommen. Halb wollte ich den Angriff mit meiner Forderung unbedeutender machen, als er war. Ich bekam das Eis sofort, abends brachte er mir die Gummibärchen. Er beteuerte noch einmal, dass es ihm leidtue und dass so etwas nicht wieder vorkommen würde - wie das wohl jeder prügelnde Mann seiner Ehefrau, seinen Kindern gegenüber auch tut.
    Doch nach dieser Entgleisung schien ein Bann gebrochen. Er begann, mich regelmäßig zu misshandeln. Ich weiß nicht, welcher Schalter damals gekippt ist oder ob er ganz einfach glaubte, sich in seiner Allmacht alles erlauben zu können. Die Gefangenschaft dauerte nun schon über zwei Jahre. Er war nicht entdeckt worden und hatte mich so gut im Griff, dass ich nicht weglaufen würde. Wer sollte sein Verhalten denn schon sanktionieren? Er hatte in seinen Augen doch das Recht, Ansprüche an mich zu stellen, und mich, wenn ich sie nicht sofort erfüllte, körperlich zu bestrafen.
    Von da an reagierte er schon auf die kleinsten Unaufmerksamkeiten mit heftigen Wutanfällen. Ein paar Tage nach dem Vorfall mit dem Zementsack

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