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3096 Tage

3096 Tage

Titel: 3096 Tage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Natascha Kampusch
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er sich diebisch: Er sah »die amerikanische Ostküste« und »das Weltjudentum« getroffen.
    Auch wenn ich ihm die nationalsozialistische Einstellung nie ganz abnahm - sie wirkte aufgesetzt, wie nachgeplapperte Parolen -, gab es etwas, das er ganz tief verinnerlicht hatte. Ich war für ihn jemand, über den er so verfügen konnte, wie es ihm gerade in den Sinn kam. Er fühlte sich als Herrenmensch. Ich war der Mensch zweiter Klasse.
    Und dazu wurde ich nun auch äußerlich.
    Von Anfang an musste ich jedes Mal, wenn er mich aus dem Verlies holte, meine Haare unter einer Plastiktüte verbergen. Der Putzwahn des Täters vermischte sich mit seinem Verfolgungswahn. Jedes einzelne Haar war eine Bedrohung für ihn - es könnte die Polizei, so sie denn auftauchte, auf meine Spur und ihn ins Gefängnis bringen. Ich musste also meine Haare mit Klemmen und Spangen zusammenstecken, den Plastiksack aufsetzen und ihn mit einem breiten Gummiband festbinden. Wenn sich beim Arbeiten eine Strähne löste und mir ins Gesicht fiel, stopfte er sie mir sofort unter die Plastikhaube zurück. Jedes Haar, das er von mir fand, verbrannte er mit dem Lötkolben oder dem Feuerzeug. Nach dem Duschen fischte er akribisch jedes einzeln aus dem Abfluss und schüttete eine halbe Flasche ätzenden Rohrreiniger hinterher, um selbst im Kanal alle Spuren von mir zu beseitigen.
    Ich schwitzte unter der Tüte, alles juckte. Auf meiner Stirn hinterließen die Aufdrucke der Tüten gelbe und rote Streifen, die Klammern gruben sich in meine Kopfhaut, überall hatte ich rote, juckende Stellen. Wenn ich über diese Qual klagte, zischte er mich an: »Wenn du eine Glatze hättest, wäre dein Problem gelöst.«
    Ich weigerte mich lange. Haare sind ein wichtiger Bestandteil der Persönlichkeit - es schien mir, als würde ich ein zu großes Stück von mir opfern, wenn ich sie abschnitt. Aber eines Tages hielt ich es nicht mehr aus. Ich nahm die Haushaltsschere, die ich zwischenzeitlich erhalten hatte, griff seitlich in meine Haare und schnitt Strähne für Strähne ab. Ich brauchte wohl über eine Stunde, bis alles so kurz war, dass mein Kopf nur noch von einem struppigen Rest bedeckt war.
    Der Täter vollendete das Werk am nächsten Tag. Mit einem Nassrasierer schabte er mir die letzten Haare vom Kopf. Ich hatte eine Glatze. Diese Prozedur wiederholte sich während der nächsten Jahre regelmäßig, wenn er mich in der Badewanne abduschte. Nicht das kleinste Härchen durfte übrigbleiben. Nirgends.
    Ich muss ein erbärmliches Bild abgegeben haben. Meine Rippen standen weit hervor, meine Glieder waren von blauen Flecken übersät, meine Wangen eingefallen.
    Der Mann, der mir das angetan hatte, fand offenbar Gefallen an diesem Anblick. Denn er zwang mich von nun an, im Haus halbnackt zu arbeiten. Meist trug ich eine Kappe und eine Unterhose. Manchmal auch ein T-Shirt oder Leggings. Aber nie war ich vollständig bekleidet. Wahrscheinlich bereitete es ihm Vergnügen, mich auf diese Art zu demütigen. Sicher aber war es auch eine seiner perfiden Maßnahmen, die mich von einer Flucht abhalten sollten. Er war überzeugt, ich würde mich nicht trauen, halbnackt auf die Straße zu laufen. Und behielt damit recht.
     
    * *  *
     
    Mein Verlies bekam in dieser Zeit eine Doppelrolle. Ich fürchtete es zwar immer noch als Gefängnis, und die vielen Türen, hinter denen ich weggesperrt war, trieben mich in klaustrophobische Zustände, in denen ich halb wahnsinnig die Ecken nach einer winzigen Ritze absuchte, durch die ich heimlich einen Gang nach draußen graben konnte. Es gab keine. Gleichzeitig wurde meine winzige Zelle zum einzigen Ort, an dem ich weitgehend vor dem Täter sicher war. Wenn er mich gegen Ende der Woche hinunterbrachte und mit Büchern, Videos und Essen versorgte, wusste ich, dass ich nun wenigstens drei Tage lang von Arbeit und Misshandlungen verschont blieb. Ich räumte auf, putzte und richtete mich auf einen gemütlichen Fernsehnachmittag ein. Oft aß ich schon am Freitagabend fast die gesamten Vorräte für das Wochenende auf. Ein Mal einen vollen Magen zu haben ließ mich vergessen, dass ich danach noch schlimmer würde hungern müssen.
    Anfang 2000 bekam ich ein Radio, mit dem ich österreichische Sender empfangen konnte. Er wusste, dass man zwei Jahre nach meinem Verschwinden die Suche nach mir aufgegeben hatte und das Medieninteresse abgeflaut war. Er konnte es sich nun also leisten, mich auch Nachrichten hören zu lassen. Das Radio wurde zu meiner

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